Stern- und Tierfotografie im Unterengadin
Schon ein paar Jahre liegt mir mein Freund Lenz in den Ohren, dass ihm eine tolle zweitägige Wanderung im Unterengadin vorschwebe. Historischer Saumpfad, spektakuläre Schlucht mit Galerien, bilderbuchhafte Seen, anstrengende Steigungen … sind Stichworte, die er erwähnte. Zwischen Träumen und Umsetzen gibt es aber bekanntlich einige Hürden. Erst in diesem Jahr konkretisierten sich unsere Pläne. Als die Wetterprognose mitte Juli dann auch eine klare Nacht und eine gute Sicht auf den Kometen C/2020 F3 (Neowise) versprach, gab es auch für den Hobbyastronomen Lenz kein Halten mehr.
Schwer bepackt mit Ausrüstung zum Fotografieren und Übernachten starten wir in Sur-En (Sent) bei Scuol im Unterengadin. Wir steigen das Val d’Uina hinauf. Bei Uina Dadaint öffnet sich das Tal und wir können die berühmten Galerias am engen Talende erkennen. Dort ist der Wanderweg in den Fels gehauen.
Während wir die Landschaft sehr geniessen, interessieren sich die Kühe für grundsätzlichere Dinge.
Ein Blick zurück ins Val d’Uina. Wir haben doch schon einige Höhenmeter geschafft, bevor das Tal enger wird.
Dann steigen wir im hinteren Val d’Uina in die wilde, enge Schlucht „La Chavorgia dal Quar“, welche das Wasser im Laufe der Jahrtausende durch die Kalkfelsen gegraben hat. Die Schlucht war früher völlig unbegehbar. Um zu den schönen Weideflächen der Alp Sursass oberhalb der Schlucht zu gelangen, musste man den weiten, steilen und mühsamen Weg über La Stüra oder Val da Gliasen nehmen. Seit 1910 führt ein Felsenweg von 600 m Länge durch die senkrechte Wand des Quars.
Die Initiative zum Bau dieses Felsenwegs kam von der Sektion Pforzheim des Deutschen Alpenvereins, welche eine Clubhütte (Pforzheimerhütte) kurz hinter der Schweizergrenze erbaut hatte. Die Bauherrin war die Gemeinde Sent, welche den Weg bis heute in Stand hält.
Oberhalb der Schlucht öffnet sich das Tal zur Alp Sursass, von wo wir …
… zur Seen-Ebene „Lais da Rims“ gegen Westen weiter steigen.
Die Kriterien für einen Übernachtungsplatz sind diesmal speziell: Neben Wasser und einer geschützten ebenen Stelle für das Zelt benötigen wir für unser nächtliches Vorhaben freie Sicht gegen Norden! Blick ins Unterengadin, im Vordergrund der See „Lai da Gonda Rossa“.
Ach ja, und zwingend muss natürlich ein geeigneter Badesee sein, um den Schweiss vom Aufstieg abzuwaschen. Die Schneefelder am Ufer stimmen uns zunächst etwas skeptisch, aber die Wassertemperatur mit rund 20°C sehr angenehm.
Da liegen auch ein paar Schwimmzüge drin, um die Muskeln zu lockern. Was für eine tolle Erfrischung auf fast 2700 Meter über Meer!
Es wird schon etwas kühler, sodass wir die warme Mahlzeit sehr geniessen. Und das mit bester Aussicht!
Zelt unter dem Sternenhimmel (14 mm, 20 Sek., f 5.6, ISO 3200, Stativ). Als die Nacht über unser Lager einfällt, stellen wir fest, dass immer mehr Wolken aufziehen! Immerhin, weil es hier in den Bergen kaum Lichtverschmutzung gibt und zudem der Mond zurzeit nicht scheint, können wir den Sternenhimmel zwischen den Wolken sehr gut sehen. Ich orientiere mich anhand der Astronomie-App „Star Walk“ am Sternenhimmel. So suchen wir den Schweifstern Neowise im Sternbild „Grosser Wagen“ im Norden.
Komet C/2020 F3, Neowise (50 mm, 15 Sek., f 1.8, ISO 2000, Stativ, Ausschnitt aus dem Titelbild). Tatsächlich. Die Wolken geben für einige Momente die Sicht frei auf den Kometen, den wir schon von blossem Auge erkennen können. Ich erinnere mich sofort an den „Stern von Bethlehem“ aus dem Kinder-Krippenspiel. Nun ist ein solches Naturphänomen live vor uns! Die Kameras rattern (technische Details am Schluss des Beitrags). Für diesen Komet haben wir sogar mein schweres Teleobjektiv (Tamron SP 2, 150-600 mm, 5.0-6.3) mit hochgeschleppt. Leider erweist sich dieses als völlig unbrauchbar. Die Sterne bzw. die Erde bewegt sich viel zu schnell. Je mehr ich nämlich den Kometen heranzoome, desto kürzere Verschlusszeiten müsste ich wählen, damit die Sterne punktförmig erscheinen. Folgende alte Abschätzungs-Regel bietet einen guten Anhaltspunkt: 300 / Brennweite = maximale Zeit in Sekunden. Mit 600 mm dürfte ich also nur eine halbe Sekunde belichten, was unmöglich ist bei der Lichtstärke dieses Objektives. Aber zum Glück habe ich mein lichtstarkes 50 mm-Objektiv dabei. Aber auch hier würde ich nächstes Mal strikte gemäss der Abschätzungs-Regel fotografieren, d.h. mit maximal 6 Sekunden. In der obigen Vergrösserung aus dem Titelbild erkennen wir bereits, wie die Sterne etwas langgezogen erscheinen.
Nachtlandschaft mit Komet (18 mm, 25 Sek., f 4.0, ISO 4000). Gegen 1 Uhr nach Mitternacht geben die Wolken zum Kometen sogar noch das Sternbild „Grosser Wagen“ frei. Gleichzeitig kommen von Westen offenbar Gewitterzellen näher. Das Wetterleuchten ist für meine Langzeitbelichtungen willkommen, weil es die Landschaft im Vordergrund sowie die Wolken im Westen surreal beleuchtet. Die letzten Bilder machen wir noch im Schlafsack aus dem Zelt blickend , bevor die Wolken den Himmel über uns endgültig verdecken. Schlafenszeit!
Was für ein Schauspiel letzte Nacht! Glücklich geniessen wir das Frühstück bei einer Tasse Tee. Das Leben kann so schön sein!
Nun, da ich das 2.5 kg-schwere Teleobjektiv noch nicht nutzbringend für den Kometen einsetzen konnte, suche ich fieberhaft nach geeigneten Motiven. Wann sonst werde ich wieder einmal ein solches Objektiv mit auf eine mehrtägige Wanderung mitnehmen?!
Blick zum Glockturm in Österreich (600 mm, 1/1600 Sek., f 9.0, ISO 200, Stativ).
Wir wandern weiter über die Ebene der Lais da Rims weiter zum Pass Fuorcla da Rims.
Es ist zwar bewölkt, aber die Sonne lugt immer wieder hervor. Hier beleuchtet sie den Piz Lischana, zu dem wir einen Abstecher machen.
Die Rucksäcke haben wir deponiert, da wir den gleichen Weg wieder zurückgehen werden. Nur mit Kamera und Faserpelz bestückt nähern wir uns dem Gipfel.
Wir nehmen uns auch Zeit für schöne Details am Wegrand, welche die Tour bereichern.
Der Gipfel selber ist leider gesperrt wegen Abbruchgefahr. Aber der Weg zu einem fast gleich hohen Ersatz-Gipfel etwas dahinter ist gut markiert.
Lenz und ich auf dem Ersatzgipfel. Selfies kann man auch mit guten Kameras machen!
Auf dem Rückweg haben wir Glück und wir können ein paar Steinböcke beobachten. Zwei rennen panisch davon, zwei andere nehmen es gemütlicher. Steinbock (200 mm, 1/1250 Sek., f 4.5, ISO 200, Ausschnitt).
Das Wetter bleibt auch relativ gut, als wir das Val Lischana hinabsteigen. Im Bild die Lischana-Hütte und dahinter Scuol. Da unterbrechen Murmeltier-Rufe unser Gespräch. Wir investieren eine weitere halbe Stunde in die Tierfotografie: Wir bleiben auf dem Wanderweg (das sind sich die Tiere gewohnt), legen uns hin, packen unsere Stative aus und ich mein Tele-Objektiv … und warten.
Unsere Geduld wird belohnt. Die Murmeltiere gewöhnen sich an unsere Anwesenheit und ich kann aus etwa 50 Metern Distanz bei perfektem Licht fotografieren. Murmeltiere beschnuppern sich (600 mm, 1/800 Sek., f 8.0, ISO 1000, Stativ, Ausschnitt).
Murmeltier (600 mm, 1/1250 Sek., f 8.0, ISO 640, Stativ, Ausschnitt). Wunderschön! Alleine für dieses Bild hat es sich doch gelohnt, das schwere Teleobjektiv mitzutragen!
Fazit
Unsere Erwartungen an diese Tour wurden deutlich übertroffen. Ein paar abschliessende Gedanken:
- Draussen zu übernachten steigert das Natur- und Freundschaftserlebnis markant!
- Je mehr Zeit man mitbringt, desto besser wird in der Regel die Fotoausbeute. Insbesondere wenn man übernachtet!
- Für die Sterne-Fotografie lohnen sich lichtstarke Objektive. Teleobjektive bringen ausser zum Fotografieren des hellen Mondes nichts.
- Ein schweres Tele würde ich in Zukunft nur mitnehmen, wenn ich gezielt Tiere fotografieren möchte und entsprechend viel Zeit investieren kann.
- Auch in der Schweiz kann man tolle Abenteuer erleben. Siehe auch Alpen-Trekking.
Nachthimmel Richtung Südtirol (50 mm, 15 Sek., f 1.8, ISO 2000, Stativ).
Für Foto-Interessierte: Fotografieren des Nachthimmels
Ausrüstung: Der Nachthimmel ist fernab von jeglicher Lichtverschmutzung durch die Zivilisation am besten zu fotografieren. Das heisst aber auch, es wird dunkel sein zum Fortbewegen und zum Hantieren an der Kamera. Eine Taschenlampe ist daher wichtig, idealerweise mit Rotlicht- Möglichkeit, um die Akkommodation der Augen nicht zu stören. Eine starke Taschenlampe eignet sich auch gut, um Elemente im Vordergrund fürs Bild aufzuhellen (siehe Lichtmalen). In der Nacht wird es kalt. Während der langen Belichtungen müssen Sie lange warten. Kleiden Sie sich also warm, denken Sie an warme Schuhe, Mütze und Handschuhe. Überlegen Sie sich, eine Thermosflasche mit warmem Tee mitzunehmen. Halten Sie ein zwei Ersatz-Akkus warm, um sie bei Bedarf auswechseln zu können. Nehmen Sie die Ausrüstung nicht direkt aus dem warmen Haus oder dem Auto in die Kälte, da sonst das Objektiv beschlagen kann. Lassen Sie die Kamera langsam akklimatisieren und nehmen für den Fall noch ein sauberes Baumwolltuch mit. Nehmen Sie lichtstarke Objektive mit. Für Sterne ein Weitwinkel und um den Mond formatfüllend zu fotografieren eignen sich Brennweiten zwischen 300 und 600 mm. Ein stabiles Stativ mit Fernauslöser ist unabdingbar. Stellen Sie jeweils sicher, dass die Beine und Feststellschrauben des Kugelkopfes fest verriegelt sind.
Zeitpunkt: Im Frühling sind die Nächte lang und das Zentrum der Milchstrasse ist sichtbar. Da ja die Position unserer Himmelskörper über Jahre vorhersagbar sind, gibt es diverse online-Portale, die Sie für die Planung heranziehen können (timeanddate, in-the-sky, skymaponline). So sehen Sie gleich, wann die Sonne untergeht, der Mond aufgeht oder Ihr Sternbild am Himmel erscheint. Zur Positionsbestimmung einzelner Sterne mit Smartphone gibt es verschiedene Apps: z.B. Star Walk, Stellarium, Sternenatlas oder SkyView.
Standort: Meiden Sie Lichtverschmutzung, die von Gebäuden oder Strassen ausgehen. In den Bergen ist die Lichtverschmutzung am geringsten und der bergige Horizont ist attraktiv für Aufnahmen. Seien Sie vorsichtig, nachts in den Bergen. Kommen Sie bei Tageslicht an Ihren Fotostandpunkt, am besten zu zweit oder informieren Sie jemanden. Ist noch Restlicht vorhanden, können Sie sich auch besser orientieren und bereits Ihr Bild komponieren.
Kameraeinstellungen:
- Arbeiten Sie im manuellen Modus und natürlich mit Stativ.
- Im Unterschied zu normalen Langzeit-Motiven (z.B. nächtliche Stadtansichten) ist beim Fotografieren des Nachthimmels oft die Einstellung hoher ISO-Werte erforderlich, auch wenn dies mit mehr Bildrauschen einhergeht. Versuchen Sie, nicht ganz ans ISO-Limit der Kamera gehen, da sie dann deutlich weniger Spielraum in der Bildbearbeitung haben, selbst wenn Sie im RAW-Format fotografieren. Übrigens, haben Sie gewusst, dass einer warmer Sensor bei gleichen Einstellungen mehr zum Rauschen neigt als ein kalter? Immerhin ein Vorteil in der kalten Nacht. Bei Nikon gibt es noch eine sinnvolle Einstellung für hohe ISO-Zahlen: FOTOAUFNAHME/Rauschunterdrückung bei Langzeitbelichtung ON. Ab Zeiten von einer Sekunde macht die Kamera für sich ein zweites Bild mit geschlossenem Verschluss, um das Sensorrauschen festzustellen. Anschliessend rechnet die Kamera die Rauschunterdrückung ins JPG ein. Die Rauschunterdrückung benötigt etwas mehr Zeit.
- Am besten verwenden Sie für das Fotografieren des Nachthimmels lichtstarke Objektive.
- Die Verschlusszeit darf – wie im Bericht schon erwähnt – nicht zu lang sein, da die Bewegung der Himmelskörper sonst sichtbar wird. Zur Abschätzung können Sie folgende Regel heranziehen: 300 / Brennweite = maximale Zeit. Bei 20 mm wären es 15 Sekunden.
- Die Scharfstellung des Objektives ist mühsam, weil Sie nicht einfach den Schärfering auf „unendlich“ stellen können. Vergrössern Sie den Sternenhimmel in der Kamera (z.B. im Live-View-Modus) und stellen dann auf einen Himmelskörper scharf. Sie können danach den Schärfering mit einem Stück Klebeband oder einem Pflaster festkleben, damit sie ihn nicht mehr verstellen.
Gutes Gelingen!
Vielen Dank für das Stubenerlebnis ihr Zwei! So habe ich doch noch den Komet gesehen und in was für einer genialen Landschaft. Herzlichst Verena
Wow, mal wieder atemberaubende Bilder und Eindrücke! Freut mich sehr für euch zwei, habt ihrs auf ein weiteres gemeinsames und so tolltes Fototrekking geschafft. liebe Grüsse an euch beide 🙂
Geniesse das Leben 👌😘
Geniale Bilder! Wie schön ein Stück Heimat aus der Ferne zu bewundern!
Hey Dominique,
65 Jahre hat es gedauert bis die Bilder vom Piz Lischana mich, dank deinem Gebirgsausflug mit den super schönen Aufnahmen, erreicht haben. Ein schönes Gipfelerlebnis, deren Top dazumal noch uneingeschränkt bestiegen werden konnte. Herzlichen Dank mit Grüssen vom Sigi.
NB Dieses Jahr habe ich mich auf deine Anregung hin zum „Blauen Feuerwunder“ auf dem Ijen-Plateau hinunter gewagt. Auch ein einmaliges Erlebnis.
13.09.2020