12 Tage Trekking in den abgelegenen Hochländern von Indonesisch-Papua
Als ich vor rund 20 Jahren das erste Mal das Baliem-Hochland im zu Indonesien gehörenden West-Papua besuchte, war ich fasziniert von den wilden Landschaften und den urigen Menschen (siehe Reise in die Steinzeit). Seit längerem gärte nun der Wunsch, wieder einmal ein wildes Trekking dort zu unternehmen. Doch bald musste ich feststellen, dass selbst im Zeitalter des Internets kaum Informationen, geschweige denn Karten über die abgelegeneren Regionen existieren. Über Umwege gelangte ich dann an Personen, die aus Erfahrung berichten konnten. Aus abfotografierten Pilotenkarten und den Satellitenansichten von Google versuchte ich mir ein Bild zu machen von Distanzen, Dörfern und Flugfeldern. Letztere konnte ich sogar im Satellitenbild erkennen. Sie sind wichtig, da sie die einzige Verbindung zur Zivilisation darstellen und sehr unregelmässig, je nach Bedarf und Wetter, von ein paar Missionars-Fliegern angesteuert werden. Schliesslich konkretisierten sich meine Pläne. Eine Bubentour soll es werden, ein Abenteuer mit vielen Unbekannten, sicher aufregend, wahrscheinlich auch anstrengend. Jedenfalls nichts für Stubenhocker. Andi und Kaspar fühlten sich von meinen Plänen sehr angesprochen und wollten mitkommen. Kurz vor unserer Abreise schliesslich fertigte uns Kaspars Bruder aus Satellitendaten der NASA noch eine grobe Karte mit Höhenlinien, auf welche ich aus den Google-Satelittenansichten und den Pilotenkarten die wichtigsten Ortschaften einzeichnete. Mit einem GPS und dieser Karte waren wir nun bereit, uns notfalls auch ohne Führer zurecht zu finden. Das gab uns ein gutes Gefühl, hörte ich doch schon oft von Fällen, da Führer oder Träger nicht mehr weiter wollten oder gar abgehauen sind.
Ein kleiner Ausschnitt aus der Karte, der Abstand der Linien beträgt in natura ca. 11 Kilometer. Vom gut erschlossenen Baliem-Tal möchten wir von Kurima aus zu Fuss maximal zwei Wochen weiter nach Osten wandern, so weit wir kommen, bis zu einem der Dörfer mit Flugpiste. Da hoffen wir dann auf einen Missionars-Flieger, der uns wieder irgendwo in die Zivilisation bringt.
Am Nachmittag kann es endlich losgehen. Von Sogokmo aus wandern wir mit unserem Führer Milis und dem Träger Sandy auf guten Wegen auf der nördlichen Seite des Baliem-Flusses Richtung Osten. Leider schaffen wir es nur bis Ikinem, da Milis und Sandy immer wieder stark zurückfallen. Milis klagt über Zahnweh und den zu schweren Rucksack, den er tragen muss (20 kg). So wird bald klar, dass wir uns von den beiden trennen müssen (links im Bild unten).
Der Dorfchef ist verständnisvoll und organisiert uns für den nächsten Tag zwei starke Träger, welche den Weg gut kennen sollen (Suskiel und Pinus, rechts im Bild). Erleichtert stellen wir bald fest, dass das zwei ganz tolle Kerle sind … fit, erfahren, geduldig … und sie rauchen nicht, was hier oben im Volk der Yali eher die Ausnahme ist! Sie sollen uns für ein paar Tage über die Berge nach Anggruk begleiten.
Wir kommen an jenem Tag gut voran, folgen dem Tal des Mugi-Flusses aufwärts, durch Dörfer, Gärten und Wälder bis nach Yogosem.
Kiroma, wo wir am nächsten Tag vorbeikommen, liegt bereits auf 2600 m.ü.M.
Ab hier folgen wir den Ufern des Mugi-Flusses weiter stromaufwärts …
… und geraten in den Regen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass es hier jeden Nachmittag/Abend regnet.
Am Abend finden wir eine verlassene Rundhütte (Honai), in der wir kochen und schlafen können. Wir erhalten später Besuch von einem Jäger (links im Bild), der am nächsten Morgen von hier aus Kuskus (eine Beuteltierart) jagen möchte.
Wir überqueren den Mugi-Fluss noch ein letztes Mal. Jede Brücke ist wieder eine neue Herausforderung, v.a. wenn das Holz nass und glitschig ist.
Durch märchenhaften Berg-Regenwald steigen wir dem Bach Gi entlang hinauf …
… bis wir den Wald hinter uns lassen und die letzten Meter zum Siam-Pass zurücklegen.
Bei der anschliessenden Durchquerung diverser Sümpfe und Hochmoore sind wir froh um unsere Wanderstöcke. Mit ihnen können wir die Einsink-Gefahr jeweils gut abschätzen, was aber trotzdem nicht verhindern kann, dass wir ab und zu mal einen Schuh voll herausziehen. Die Stöcke sind ausserdem nützlich beim Balancieren über Baumstämme!
In einem einfachen Unterstand finden wir Schutz vor dem abendlichen Regen. Das Feuer brennt die ganze Nacht, da sich unsere Träger daran ständig wärmen wollen. Verständlich, haben sie doch nur wenige Kleider und nur eine einzige Wolldecke dabei. Auf 3200 Metern kann es nachts schon gegen 5° kalt werden! Um uns vor dem ständigen Rauch des Feuers etwas abzuschirmen, baut unser Improvisations-Talent Andi mit der Plastikplane (als Boden) und dem leichteren Tarp sowie den Stöcken (als Dach) eine Schlafstelle.
Das niedrige Tarp-Dach hält natürlich auch unsere Körperwärme etwas zurück. Trotzdem ziehen Kaspar und ich all unsere Kleider an, inklusive Regenhose und -jacke. Andi ist froh um seinen leichten Schlafsack. So ist die kalte Nacht gut erträglich.
Am nächsten Morgen freuen wir uns über die ersten Sonnenstrahlen und stärken uns wie jeden Tag mit einer grossen Portion Reis. Während wir mittags nur Kekse essen werden, erwartet uns am Abend wieder das gleiche Menu: Reis mit Nudelsauce. Damit wir immer ausreichend und ungehemmt trinken können, haben wir ausserdem einen Katadyn-Wasserfilter dabei.
Heute erwarten wir noch mehr Bäche und Sümpfe. Deswegen ziehen wir unsere Amphibienschuhe an, eine Art Turnschuhe mit vielen Löchern, durch die das Wasser abfliessen kann. So kommen wir wesentlich schneller voran als mit unseren Wanderschuhen, da wir nun in direkter Linie durchs Wasser oder den Sumpf gehen können, ohne ihm ausweichen zu müssen.
In diesen Hochmooren auf rund 3500 Metern dominieren Gräser und Baumfarne.
Am frühen Nachmittag ziehen im Süden bereits wieder regenschwangere Wolken auf. Eile ist angesagt. Wir verzichten auf unseren Mittagsrast. Für den steilen Abstieg über den Ilit-Pass (3600 m.ü.M.) ziehen wir unsere Wanderschuhe wieder an.
So sehen also diese Holzleitern aus, vor denen uns die Träger bereits Tage vorher gewarnt haben. Am Anfang können wir schon noch lachen. Als der Regen einsetzt, der sowohl Felsen als auch Holzleitern unberechenbar rutschig macht, wirds bitterer Ernst. Wir müssen uns konzentrieren.
Da ich mit meinem Rucksack über 110 kg wiege, habe ich entsprechend Respekt vor diesen Leitern, die hier hauptsächlich mit Lianen zusammengebunden sind. Wir steigen sie grundsätzlich einzeln hinunter und achten dabei darauf, unser Gewicht auf mehrere Sprossen oder Felsvorsprünge zu verteilen. Trotz aller Vorsicht bricht bei mir eine Sprosse durch, was aber zum Glück nicht gefährlich wird.
In diesem Gelände sind die barfüssigen Einheimischen klar im Vorteil. Erstens spüren sie besser, wo sie hinstehen. Zweitens schmiegt sich der Fuss besser an das Gelände an als jeder noch so gute Schuh. Drittens haftet die Fusssohle besser auf nassem Holz. Und viertens vertrauen sie den Leitern fast blind. Offenbar halten sie auch meistens. So überholen uns Einheimische oft mit einem Lächeln. Sie tragen teilweise schwere Lasten von Wamena in ihre Bergdörfer, oft nur in ihren Tragetaschen (Noken) verstaut, die sie über ihre Stirne tragen.
Sobald wir die steilsten Kletterpartien geschafft haben, setzt der Regen wirklich in Strömen ein, so wie es nur in den Tropen möglich ist. Sintflutartig stürzen die Wassermassen auf uns nieder. Wasserfälle rauschen um uns herum von den Felswänden herunter, Wasser sammelt sich auf den Wegen … ja bald wird der Weg selber zum Bach, und wir stapfen knietief im Wasser und sehen kaum mehr, wo wir hinstehen. Wir haben es längst aufgegeben, auf Baumstämmen zu balancieren und watscheln einfach so durch das milchig-braune Wasser. Ich schaffe es zwar, ein paar Fotos zu machen. Da aber das Wasser an mir nur so herunterrinnt und natürlich auch die Kamera recht nass wird, packe ich sie für den Rest der Wanderung wieder ein.
Seit dem Einstieg in den Pass sind wir nun schon 2 Stunden unterwegs, heute also bereits ohne nennenswerte Pause 9 Stunden! Jetzt dämmert es, und wir sind immer noch nicht im versprochenen Dorf. Inzwischen waten wir zeitweise durch grosse Tümpel und gehen zügig auf dem zum Bach gewordenen Weg hinunter. Bei der Nässe ist eine Übernachtung im Wald unter unseren Not-Planen keine Option. Wir sehnen uns nach einem trockenen Dach über dem Kopf. Aber es dauert nochmals fast eine Stunde, bis wir wenigstens mal zu Feldern kommen und in der Dämmerung weit unten die Dächer von Pronggoli sehen. Wir nehmen unsere Stöcke wieder zu Hilfe und rutschen zeitweise auf Lehmhängen wie auf Skiern hinunter. Es will kein Ende nehmen. Nochmals eine Stunde, es ist praktisch schon dunkel, da erkennen wir Blechdächer vor uns. Wir sind froh, endlich in Piliam angekommen zu sein … und nehmen als erstes … eine Dusche :-). Alle sind wir uns einig: Morgen ist Ruhetag!
Kaum öffnen wir die Türe unserer Unterkunft, versammeln sich draussen neugierige Kinder und beobachten uns. Es sind Schulferien, und wir sind natürlich eine willkommene Abwechslung für die Leute hier. Während der ersten Fotoversuche rennen noch alle davon. Erst mit der Zeit gewöhnen sich die Leute an unsere Kameras und posieren gerne … die einen neugierig-fröhlich, andere kritisch-ernst …
… und wieder andere selbstbewusst-keck.
Als wir über unsere Herkunft gefragt werden, zücke ich meine Prospekt- und Foto-Sammlung und erzähle von unseren Familien und unserer Heimat. Die meisten Menschen hier verstehen zwar die Nationalsprache Indonesisch. Trotzdem wiederholt der Dorfchef meine Worte in Yali-Sprache und oft geht ein Raunen durch die Menge. Das Zeigen von Fotos aus unserer Welt ist ein sehr guter Eisbrecher unter fremden Menschen. Die Leute sind danach viel zugänglicher und lassen sich bereitwillig fotografieren.
Den Ruhetag nutzen wir, um unsere Kleider zu waschen und zu trocknen. Als auch meine Schuhe etwas trockener sind, inspiziere ich sie etwas genauer und muss feststellen, dass sich die einzelnen Gummi-Lagen der Schuhsohle langsam von einander lösen. Wir müssen sie aufwändig reparieren. Reep-Schnur und Draht haben wir selber dabei. Hammer und Nägel kann uns der Dorfchef organisieren.
So wandern wir am nächsten Morgen bei schönstem Wetter wieder los. Die Yali legen zwischen ihren Feldern jeweils tiefe Entwässerungsgräben an, in welchen überschüssiges Regenwasser abfliessen kann.
Ab und zu kommen wir an verwilderten Gärten vorbei, die von schönen Blumen gesäumt sind. Die Yali gönnen ihren Feldern periodisch ein paar Jahre Brache, damit sich der Boden regenerieren kann und die Ernte wieder zufriedenstellend ausfällt.
Bevor wir ins Tal von Anggruk gelangen, durchwandern wir nochmals moosige Berg-Regenwälder und balancieren über Baumstämme mit dem schwierig zu erreichenden Ziel, dass unsere Schuhe trocken bleiben. Da hat es der barfüssige Pinus einfacher.
Am späten Nachmittag erreichen wir müde unser Etappenziel Anggruk. Die in den Hang gebaute Piste beeindruckt mich. Sie wird im Vergleich zu anderen Pisten in der Umgebung offenbar relativ häufig (2- bis 3-mal pro Woche) angeflogen.
Im Dorf können wir in einem Angestelltenhaus der Gesundheitsstation übernachten. Auch hier kommen oft neugierige Kinder vorbei. Wir nutzen den Sonntag, um uns über Trekking-Möglichkeiten und geplante Missionars-Flüge zu informieren.
Blick Richtung Kono. Das Gelände hier ist viel unwegsamer und zerfurchter, als wir das aufgrund unserer einfachen Satellitenkarten vermutet haben. Das ist der Hauptgrund, warum wir deutlich hinter dem Zeitplan hinterher hinken. Wir rechnen aus, dass wir spätestens in vier Tagen rausfliegen möchten, damit wir noch eine gute Woche Tauchferien in Raja Ampat verbringen können. In vier Tagen können wir zwar gut andere Dörfer mit Piste erreichen, aber wenn wir Pech haben, warten wir dort eine Woche auf unseren Rückflug. Aus Anggruk hingegen ist ein Missionars-Flug in vier Tagen geplant. So hinterlassen wir eine Reservation beim zuständigen Flug-Funker und beginnen eine Rundtour in der Umgebung.
Wir wollen mehr über die Yali erfahren. Mit unserem neuen Führer Esebel gelangen wir weiter im Osten in sein malerisches Dorf Sangalpunu. Dort kommen wir im Haus des Pastors unter …
… und werden zunächst kritisch gemustert. Die meisten Leute leben hier noch in ihren traditionellen Rundhütten (Honai).
In der Hüttenmitte ist die Feuerstelle. Hier bei der Familie von Esebel wird auch für uns gekocht. Das Feuer brennt aber auch nachts, dann um die Hütte zu heizen. Da kein Kamin vorhanden ist, wird die Wärme und der Rauch im nur leicht durchlässigen Dach gestaut. Dementsprechend rauchig und stickig ist es in diesen Rundhütten. Dies ist eine Familienhütte. Sobald die Kinder rund 5 Jahre alt sind, schlafen sie bereits im Männer- bzw. Frauenhaus, in dem jeweils bis zu 40 Personen untergebracht werden können.
Aber nicht nur die Familie findet hier Unterschlupf, sondern auch die Hausschweine. Sie sind in der Welt der Yali enorm wichtig und gelten als eine Art Kapitalanlage. Denn dicke Schweine werden immer mal wieder für Hochzeiten, Begräbnisse oder andere Zeremonien und Feste gebraucht.
Während die meisten Leute hier in den traditionellen, verrauchten Rundhütten übernachten, schlafen wir in einer kleinen Kammer der Blechhütte des Pastors. Solche „modernen“ Häuser, im Volksmund auch Rumah Sehat (gesundes Haus) genannt, werden von der Regierung und den Missionen gefördert, um den vielen Atemwegs-Erkrankungen entgegenzuwirken. Dank der Flugpisten können Blechdächer heute in die hintersten Winkel geflogen werden. Entsprechend sieht man sie heute immer öfter in der idyllischen Landschaft aufblitzen, was wir etwas schade finden, obwohl wir natürlich eine gesunde Lebensweise unterstützen. Zudem beobachten wir hier und in anderen Dörfern, dass die Leute trotz der Bemühungen der Regierung immer noch lieber in ihren wärmeren alten Hütten übernachten.
Wir beschliessen, auch hier in diesem Dorf einen Extra-Tag zu verbringen, um etwas näher an die Leute heranzukommen und mehr über das Leben hier zu erfahren. Auf unserem Rundgang durchs Dorf werden wir den ganzen Tag von einer Horde Kindern begleitet.
Es fällt uns auf, wie die Yali hier ständig und überall in ihren Gärten beschäftigt sind. Angebaut werden vor allem Süsskartoffeln, aber auch Yams (grosse Blätter im Hintergrund), die Hauptnahrungsmittel hier oben. Die Blätter dieser Knollenpflanzen können zudem als Gemüse gegessen werden. Daneben werden unter anderem auch Zuckerrohr, Mais, Kartoffeln, Tomaten, Kohl, Zwiebeln, Knoblauch, Chilli und weitere Gemüse angepflanzt. Da man hier oben Selbstversorger ist, muss jeder arbeitsfähige Mensch zur Ernährung beitragen.
Ein 6-jähriger Knabe wird hier von seinem Grossvater instruiert, damit der Kleine seine eigene Nahrung bald selber anbauen kann. Die traditionelle Bekleidung mit Penisköchern bzw. mit Baströcken (Frauen) findet allerdings keinen Anklang mehr bei der jungen Generation und wird höchstens noch an Festen getragen. In den über 10 Tagen bei den Yalis konnten wir insgesamt höchstens ein dutzend solch traditionell bekleideter Menschen zählen. Meist ältere Leute, die Wert auf ihre Traditionen legen.
Während Kauri-Muscheln früher noch als geldähnliches Tauschmittel benutzt wurden, dienen sie heute vor allem als Schmuck, der auch im Alltag offenbar noch gerne getragen wird.
Wenn die Frauen gerade nicht in den Gärten oder am Kochen sind, können wir sie oft beim Stricken beobachten. Etwa einen Monat dauert es, bis so ein Trage-Netz fertiggestellt ist. Deshalb ist es recht wertvoll.
Jedes Mädchen ab etwa 6 Jahren erhält so ein Netz (Noken), welches mit dem Kopf getragen wird, egal wie schwer die Last darin ist. Frauen und Mädchen tragen ihren (auch leeren) Noken immer mit sich herum und legen ihn höchstens vor dem Schlafengehen ab. Dieses Mädchen zieht sich zudem ihr zu grosses T-shirt über den Kopf, so ist es am frühen Morgen etwas wärmer.
Die Kinder spielen mit dem, was die Natur hergibt. Selbst Windräder werden geschickt in wenigen Minuten gefertigt …
… und mit viel Freude auch mal mit einem Sprint zum Drehen gebracht, wenn der Wind fehlt.
Andi schaut den Kindern gerne zu und entwickelt ihr Windrad so weiter, dass es sich von selbst im Wind optimal ausrichtet. Die Kinder sind begeistert!
Auf dem Rückweg kommen wir an den neu angelegten Gemeinschaftsgärten von Pasigni vorbei, wo Ananias mit Brecheisen und Schaufel ein brach liegendes Feld wieder für den Anbau vorbereitet. Weil die Bevölkerung in diesen Bergtälern immer noch wächst, müssen auch immer mehr Waldflächen zu Gärten gemacht werden.
Wie mit dem Flugfunker vereinbart, finden wir uns schliesslich am 12. Tag unseres Trekkings in Anggruk auf der Flugpiste ein. Wir blicken in die noch etwas wolkenverhangenen Berge in Richtung Westen, wo sich das Baliemtal befindet. Nein, die Wolken seien nicht das Problem, meinte der Flugfunker. Der für heute geplante Flug wird wegen Benzin-Mangel bei der Missionars-Fluggesellschaft MAF nicht durchgeführt. Wir warten den Morgen noch ab, in der Hoffnung dass doch noch ein Flugzeug am Horizont auftaucht. Vergeblich. Morgen vielleicht.
Kaspar und ich nutzen den restlichen Tag für einen Ausflug zur Hängebrücke unterhalb von Anggruk. Um diese Brücke kommt niemand herum, der von Anggruk nach Norden will.
Entsprechend wird sie häufig frequentiert. Heute umso mehr, denn morgen ist Markttag, und die Leute bringen die Erzeugnisse aus ihren Gärten, manchmal auch von anderen Dörfern.
Wir sind zwar wieder um 7 Uhr beim Flugfeld. Aber kein Pilot hat die Absicht, heute hier landen. Ich verstehe mich unterdessen gut mit Jali, dem Flugfunker. Er ist der Freund von Esebel, unserem lokalen Führer hier. Jali legt sich ins Zeug für uns. Er erfährt im Laufe des Morgens, dass ein Pilot den Auftrag hat, Waren ins 2 Gehstunden entfernte Nachbardorf Walma zu fliegen. Auf dem Rückflug nach Jayapura am Nachmittag habe er allenfalls noch 6 Plätze frei und könne hier zwischenlanden, um uns rauszufliegen. Der Pilot vereinbart mit dem Flugfunker Jali, dass sie um 12 Uhr nochmals miteinander funken. Wir sind erfreut und schenken Jali aus Dank für seine Bemühungen unsere Reserve-Stirnlampe, welche er freudig entgegen nimmt.
Nun haben wir noch etwas Zeit, um uns auf dem Markt mit Früchten und Kartoffeln für unser Mittagessen einzudecken, welches wir uns in unserer Unterkunft noch selber kochen können.
Gegen 14 Uhr erkennen wir schliesslich eine Maschine im Anflug auf Anggruk. Die Passagiere sollen sich bereit halten, um unverzüglich einsteigen zu können, hat der Pilot noch per Funk vorausgeschickt.
Der Pilatus-Porter ist das perfekte Flugzeug für die Buschfliegerei in den Bergen Papuas: Robust und einfach gebaut (und entsprechend wenig störungsanfällig) hat das Flugzeug sehr kurze Start- und Landedistanzen sowie eine gute Steigrate. 9 Plätze bietet es neben dem Pilot noch. Es stellt sich heraus, dass bereits 6 Plätze besetzt sind und nur noch 3 Plätze frei sind. Der Pilot lässt dem Flugfunker Jali, der hier in Anggruk sämtliche Flugangelegenheiten koordiniert, die Wahl. Innerlich finden wir uns schon damit ab, dass er wohl dem Gesundheits-Minister aus Jayapura sowie dem rauszufliegenden Kranken den Vorzug geben würde. Ich bereite mich auch schon auf die Frage vor, ob wir uns aufteilen würden, wenn nur noch ein Platz frei ist. „I have three seats left“, wiederholt der Pilot ungeduldig und richtet seine Augen auf Jali. Dieser überlegt noch ein paar Sekunden und ringt sichtlich um eine Entscheidung, bis er schliesslich uns Touristen den Vorrang gibt. Diese Stirnlampe war gut investiert, zwinkert mir Kaspar zu.
Dann geht es schnell. Der Pilot schluckt zwar, als er unsere grossen Trekking-Rucksäcke sieht, legt dann je einen Rucksack auf die Knie der Passagiere in der hintersten und mittleren Reihe. Wir zwängen uns dann zu dritt auf die vorderste Reihe, zusammen mit dem letzten Rucksack und unseren Tagesrucksäcken. Der Pilot erhöht die Drehzahl, um den bergseitigen Hang der Piste zu erklimmen. Oben wendet er den Pilatus-Porter, um dann mit vollem Schub den Hang hinunterzurasen. Ehe ich mich versehe, hebt der Flieger ab und dreht Richtung Norden. Tief unter uns sehe ich nochmals die Hängebrücke, kurz darauf fliegen wir über eine Krete und gewinnen schnell an Höhe.
„Sorry about the hurry, we are chasing slot-times in Jayapura“ meint der Pilot entschuldigend. Hab ich richtig gehört? Slots hier im Busch von Papua? Nun weiss ich, dass bald wieder andere Zeitmassstäbe gelten werden.
„Wow, das ist ja eine Story“, murmelt Andi kopfschüttelnd vor sich hin. Meint er die Flugpiste von Anggruk, diesen eindrücklichen Flug oder das ganze Trekking? Ich kann ihn nicht fragen, da ich schon wieder ein Motiv zum Fotografieren sehe. Wir sind zwar alle froh, dass wir nun das Glück haben, mit diesem Flieger wieder an die Küste zu fliegen statt weitere Tage in Anggruk warten zu müssen. Trotzdem wird mir erst jetzt richtig klar, dass unser Abenteuer in den Bergen Papuas nun unweigerlich mit diesem Flug endet. Atemberaubende Aussichten tun sich auf. Wir überfliegen zunächst viele bewaldete Berg- und Hügelzüge, ab und zu wie hingeworfen ein Dorf und eine Landepiste.
Im Tiefland fesseln die Mäander des riesigen Mamberano-Stromes meinen Blick. Hoch über den Wolken beginne ich bereits, das erlebte Trekking in der Erinnerung zu vergolden. Vergessen sind die Strapazen und Mühen. Es überwiegen die schönen Erinnerungen an wilde Landschaften, liebenswürdige Menschen und märchenhafte Urwälder.
Als mein Blick dem Fluss entlang zum Horizont schweift, wünsche ich mir, dass diese weiten, ursprünglichen Urwald-Landschaften noch lange erhalten bleiben mögen. Ich überlege, ob in diesem Wunsch bereits wieder der Keim der Sehnsucht zu erkennen ist, irgendwann wieder einmal in diese wilde Welt eintauchen zu können.
Ein paar Tipps für ein Trekking in Papua
- Sprache: Lernen Sie Indonesisch. Die Sprache ist sehr einfach und Sie erschliessen sich damit ein ganzes Inselreich. Wegen meiner Indonesisch-Kenntnisse waren wir nicht abhängig von zweifelhaften englisch-sprechenden Führern aus der Stadt. Stattdessen konnten wir unsere Führer und Träger selber organisieren und so manch Interessantes über die Umgebung erfahren. Die Leute unterwegs und in den Dörfern sind sehr freundlich. Klar, manchmal etwas neugierig, aber nicht aufdringlich. Toll, wenn man sich mit ihnen unterhalten kann! Auch wenn die Leute noch ihre lokale Sprache sprechen, die Nationalsprache Indonesisch verstehen und sprechen die meisten.
- Fotografie: Nehmen Sie genug Speicherkarten und Akkus mit. In den Dörfern gibt es keinen Strom. Das Gewicht spielt eine Rolle, überlegen Sie sich deshalb genau, was Sie mitnehmen. Ich hatte meine Nikon D750 dabei, mit 28-300mm, 18-35mm, 16mm Fischeye und Blitz SB-700. Dazu ein leichtes Carbon-Stativ.
- Flugreise mit Batterien: Akkus, Batterien und damit betriebene Geräte müssen auf Flugreisen aus Sicherheitsgründen (IATA-Regeln) IMMER ins Handgepäck und NIE ins eingecheckte Gepäck. Wer diese Regel missachtet, muss damit rechnen, dass das Gepäck erst Tage später an der Destination ankommt. Und zwar ohne Akkus und Batterien, da diese aus Sicherheitsgründen beschlagnahmt bzw. vernichtet werden. So passierte dies Kaspar auf unserer Reise, was uns einen kostbaren Ferientag kostete.
- Mobiltelefon: Es gibt in diesen abgelegenen Dörfern weder ein Mobil- noch ein Festnetz. Also weder Internet noch SMS. Die einzige Kommunikation mit Aussenwelt sind die Flugfunker, die am Morgen und am Nachmittag „online“ gehen oder die gute alte Briefpost.
- Geld: Bringen Sie alles Bargeld am besten aus grösseren Städten mit, wo Sie genügend Wechselstuben mit guten Wechselkursen vorfinden. An guten Bankomaten können Sie zurzeit nur maximal 2.5 Mio. Rupiah abheben (fast CHF 300.–), am besten mit der Postcard oder einer EC-Karte. Studieren Sie die Bezugsbedingungen der einzelnen Karten und erhöhen Sie allenfalls noch zuhause allfällige Limiten in Bezugshäufigkeit oder -höhe. Einige Preise (in 1000 Rupiah) für die Planung: Träger/Führer pro Tag (200), englisch-sprechender Führer (über 500), Übernachtung pro Tourist und Nacht in einer Hütte (ca. 100). Flug von Anggruk nach Jayapura pro Person (1100). Charter-Flug aus dem Innern nach Wamena oder Jayapura (20’000). Doppelzimmer Hotel (300 bis 500). 10 kg Reis (150).
- Essen: Nehmen Sie nicht allzu viele Nahrungsmittel aus der Stadt mit. In den meisten grösseren Dörfern können einfache Nahrungsmittel wie Reis, Instant-Nudeln oder Zucker nachgekauft werden. Gemüse und Früchte kaufen Sie am besten sowieso lokal bei den Bergbauern selber: frisch und günstig. Ein Wasserfilter von Katadyn ermöglichte es uns, überall, schnell und gefahrlos Wasser aufzubereiten und damit gleich den Durst zu löschen.
- Schlafen: Der Dorfchef, Pastor oder Dorflehrer kann Ihnen bestimmt eine Unterkunft zuteilen. Zwischen den Dörfern auf den langen Etappen gibt es sogenannte Pondoks (entweder traditionelle Honai oder einfache zelt-ähnliche offene Unterstände). Sie sind für Jäger und Reisende errichtet worden und können benutzt werden. Wer in höheren Lagen (über 2500 m.ü.M.) übernachten will, sollte neben einer Iso-Matte auch einen leichten Schlafsack mitnehmen. Nachts wird es oft kalt, über 3500 Metern kann es schon mal gefrieren. Ein Zelt lohnt sich nur für jene, welche die Dörfer eher meiden oder längere Etappen in der Wildnis planen.
- Wandern: Am besten gehen Sie barfuss, wie die Einheimischen :-). Da dies kaum möglich sein wird, empfehle ich Ihnen eine Art schnelltrocknende Amphibien-Schuhe mitzunehmen, wie sie z.B. Kanufahrer verwenden. Damit können Sie unbeschwert durch Sümpfe und Tümpel gehen wie die Einheimischen. Falls Sie mit schwerem Rucksack unterwegs sind, können knöchel-hohe Trekking-Schuhe mit möglichst flexibler Sohle (Baumstämme!) hilfreich sein. Stellen Sie sich jedenfalls darauf ein, dass Ihre Füsse sowieso nass werden. Wanderstöcke haben uns geholfen, uns durch Sümpfe zu kämpfen, über Baumstämme zu balancieren und ganz einfach die Knie zu entlasten (v.a. beim Abstieg).
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