Grosse Tierwanderung in der Masai Mara
Die jährliche Migration in Ostafrikas Seregenti-Masai-Mara-Ökosystem gehört ohne Zweifel zu den eindrücklichsten Naturereignissen weltweit. Ich war zwar schon einige Male in Ostafrika auf Safari, doch die grosse Migration hatte ich bisher noch nicht erlebt. Als ich nach den Sommerferien für vier Wochen nach Kenia zu meinem Freund Hartmut Fiebig flog, stand die Tierwanderung deshalb zuoberst auf meiner Wunschliste. Ende August stehen die Chancen gut, um dem Naturschauspiel beizuwohnen, meinte Hardy.
Und Hardy muss es wohl wissen. Der Fotograf und Journalist verbringt die eine Hälfte des Jahres in Kenia, die andere Hälfte in Deutschland. Er kennt Kenia, seine Bewohner und Attraktionen wie kaum ein anderer. Er veröffentlichte Reiseführer und Bildbände über das wunderschöne Land am Äquator und tourt regelmässig im deutschsprachigen Raum mit seinen Fotoreportagen. Heute engagiert er sich stark für die natürlichen und kulturellen Schätze Kenias. Mit einem Team von Kenianern möchte er besonders auf die weniger bekannten Naturschätze des Landes aufmerksam machen, um deren Wert aufzuzeigen, bevor sie irreversibel geschädigt werden. Einer der Schätze – auch wenn einer der bekannten – ist sicher das Masai Mara National Reserve in der südwestlichen Ecke Kenias.
Hardy (rechts im Bild), freut sich über meinen Besuch und organisiert sogleich einen Trip in die Masai Mara. Schon am nächsten Tag nach meiner Ankunft in Nairobi sitzen wir in der Cessna Caravan. Mit von der Partie auch Hardys Freund Norbert.
Ich finde es richtig toll, dass man auf den kleinen Flugzeugen noch den Piloten über die Schulter blicken kann. „If there is anything, just tap on my shoulder“, hat der Kapitän vor dem Abflug bei der Begrüssung noch angefügt.
Rund 45 Minuten später erblicken wir die weiten Grasebenen der Masai Mara. Der erste Teil des Namens bezieht sich auf den hier ansässigen Volksstamm der Masai, der zweite Teil – Mara – bedeutet in deren Sprache so viel wie ‚gefleckt‘ oder ‚gepunktet‘. Beim Blick durch das Fenster der Cessna macht dieser Name durchaus Sinn.
Nach der sanften Landung auf dem Flugfeld von Kichwa Tembo werden wir abgeholt von Fahrern des Kilima Camps, unserer Unterkunft. Auf der Fahrt ins Camp packen wir bereits unsere Kameras aus, als eine Gruppe Elefanten vor uns die Strasse überquert.
Die Abmachung mit dem Lodge-Besitzer, einem guten Bekannten von Hardy, ist einfach: freie Kost und Logis gegen gute Bilder und einen Filmclip. Deal! So erfreuen wir uns während der nächsten sechs Tage an einer tollen Unterkunft in einem luxuriösen Zelt mit integrierter Dusche und WC.
Mit fast zahmen Zebras vor unserem Zelt haben wir allerdings nicht gerechnet. Offenbar suchen die Zebras die Nähe der Menschen, da sie wissen, dass sich keine Raubkatzen hierhin trauen.
Noch am gleichen Tag lernen wir Wanje kennen. Der charismatische Fahrer und Tourguide wird die nächsten Tage dafür sorgen, dass wir tolle Tierbilder schiessen können … und dass wir häufig lachen müssen. Sein lautes Lachen ist nämlich sehr ansteckend! Kein Wunder ist er unter den Fahrern sehr beliebt und bekannt. So ist es für ihn ein Leichtes, über Funk von anderen Fahrern immer wieder aktuelle Aufenthaltsorte von Tieren zu erfahren. Diese Kommunikations-Gabe, gepaart mit fundiertem Wissen über die Tiere und die Region, machen ihn zum perfekten Tourguide.
Wir starten jeden Tag noch vor dem Sonnenaufgang. Während wir noch an einer Tasse Tee nippen, heben unten in der Ebene am Mara-Fluss bereits die ersten Heissluft-Ballone ab.
Heute möchten wir vor allem die grosse Tierwanderung dokumentieren. Deshalb machen wir uns sogleich auf den Weg zu den Stellen, wo die Herden während der Migration häufig den Fluss durchqueren. Kurz bevor das Reservat seine Tore öffnet, können wir noch den Sonnenaufgang geniessen.
Beim Anblick dieser wohlgeformten Pos geraten wir drei Männer ins Schwärmen. Hardy findet den Po von Warzenschweinen noch etwas knackiger, Norbert und ich stimmen allerdings für den Zebra-Po.
Auf dem Weg zum Fluss erregt eine Gruppe von Geiern unserer Aufmerksamkeit. Unsere Diskussion über Ästhetik im Tierreich weicht abrupt der harten Realität des Überlebenskampfes in der Natur. Als wir näher kommen, sehen wir den Kadaver eines Zebras. Das Tier wurde in der Nacht von Löwen gerissen. Die Löwen sind inzwischen satt und haben den Kadaver den anderen Tieren überlassen. Verzweifelt versucht sich ein Schakal noch ein paar Stücke herauszureissen, wird aber bald von den Geiern in Überzahl weggejagt.
Wir fahren weiter und sehen bereits die ersten Gnu-Herden. Es gibt ein paar Ansammlungen in Flussnähe, erfahren wir per Funk.
Über zwei Millionen Tiere, hauptsächlich Gnus und Gazellen, folgen im Jahresverlauf den Regenfällen auf der Suche nach saftigen Weidegründen. Im Juli, wenn der Norden der Serengeti trockener wird, wandern die Tiere weiter nach Norden über die Landesgrenze nach Kenia. Hier in der Masai Mara überqueren sie früher oder später auch den Mara-Fluss, ein Spektakel, das bei Touristen sehr beliebt ist und auch wir nicht verpassen wollen. Es haben sich bereits grosse Herden eingefunden.
Von diesen Herden spalten sich immer wieder Gruppen ab und wandern Richtung Fluss, wo die Tiere zunächst einmal warten. Kein Tier scheint sich so recht über den Fluss zu trauen.
Entsprechend bleibt uns nichts anderes, als zu warten. Wir essen unser Frühstück, während uns Wanje viel über die lokale Tierwelt erzählt.
Wir sind nicht alleine. Auch auf der anderen Seite warten die Safari-Autos. Eine der Parkregeln ist, dass Autos den Tieren nicht den Weg versperren dürfen. Fahrer, die diese Regeln nicht einhalten, werden rigoros gebüsst, denn die Parkwärter sind bei solchen Ansammlungen immer anwesend. Ich komme mir auf einmal etwas seltsam vor. Wir stehen hier gemeinsam mit anderen Safari-Autos hinter einer unsichtbaren Linie und warten, bis sich etwas tut.
Als sich immerhin nach einer Stunde schon die ersten mutigen Tiere der Herde in den Fluss stürzen, heult der erste Motor auf und ein Landcruiser braust los. Die Rallye um die besten Fotoplätze hat begonnen. Erst jetzt, während der Überquerung, darf man zum Fotografieren an die Uferböschung fahren, natürlich ohne der Herde im Weg zu sein. Wanje hätte zwar noch etwas warten wollen, ist jetzt aber gezwungen, ebenfalls zu starten und fährt wie ein Irrer durch das ruppige Gelände. Wir dirigieren ihn mit unserer Einschätzung nach der besten Fotoperspektive etwas weiter weg von den anderen Autos und den Tieren. Dafür haben wir freien Blick auf das Geschehen.
Voller Panik, aber auch Verachtung – so scheint es – springen die Gnus in die Fluten …
… wohl wissend, dass es sich dabei um ein lebensgefährliches Unterfangen handelt. Die Gefahr durch Krokodile scheint im kollektiven Gedächtnis der Gnus verankert zu sein. Auch wir erwarten jeden Moment ein Krokodil, das sich auf spektakuläre Weise ein Jungtier schnappt, wie man es aus guten Tierfilmen kennt.
Doch nichts passiert. Die meisten Gnus sind schon sicher auf der anderen Seite des Flusses an Land gestiegen.
Dann entdecken wir ein Kalb, das offenbar seine Mutter verloren hat und verzweifelt Richtung Ufer blökt. Erst als alle Mitglieder der Herde den Fluss überquert haben, merkt es, dass die Mutter wohl auch schon drüben sein muss. Was für eine unangenehme Situation!
Tapfer nimmt es seinen Mut zusammen und schwimmt alleine über den Fluss. Wir bangen um das Leben des Kalbes.
Denn keine 50 Meter daneben sonnt sich ein Krokodil. Aber offenbar ist es schon satt. Das Kalb kommt heil am anderen Ufer an.
Während wir vor Spannung fast „vergitzeln“, geniessen einige Nilpferde gleich am Ufer vor uns selig ihren Mittagsschlaf.
Ab und zu bewegt sich eines, öffnet die Augen und gibt ein lautes uriges Grunzen von sich.
Vor Krokodilen haben sie keine Angst. Offenbar haben sie gelernt, miteinander zu leben.
Währenddessen erfreuen sich die Gnus an den frischen Weiden.
Wir können es kaum fassen, dass sich bereits am ersten Tag unser Wunsch, die Gnu-Wanderung zu fotografieren, erfüllt hat. Dies sei nicht selbstverständlich, meint Wanje. Zufrieden geniessen wir den Abend im Camp.
Am nächsten Morgen sind leider alle Safari-Autos von anderen Gästen besetzt. So bleiben wir heute im Camp und schiessen Werbefotos für die nächsten Publikationen.
Wir besuchen den hauseigenen Garten, wo gerade frisches Gemüse für das Mittag- und Abendessen geerntet wird. Das Kilima Camp ist in Sachen Ökologie und Nachhaltigkeit ein Vorreiter hier in der Masai Mara. Auch Trinkwasser und Energie werden lokal gewonnen mit Brunnen, Windrädern und Solarpanels. Kein Dieselgenerator stört das Idyll. Die Mitarbeiter sind allesamt sehr freundlich und motiviert.
Schliesslich gehen wir noch bei den Ställen vorbei und dürfen sogleich einen Ausritt unternehmen. Die Pferde werden fachmännisch gepflegt und gesattelt.
Es dauert allerdings eine Weile, bis ich das Pferd so weit im Griff habe, um die ersten Fotos zu machen. Hier, ausserhalb der Grenzen des Reservats, gibt es kaum mehr Raubtiere, sodass man sich sicher zu Fuss und auf Pferden bewegen kann.
Der Hauptvorteil einer Reitsafari ist, dass man sich auf Pferden viel näher auf Wildtiere zubewegen kann, ohne dass sie fliehen. Auf dem Pferd wird der Mensch offenbar als ein anderes Tier wahrgenommen. Faszinierend!
Wir befinden uns auf rund 1800 Meter über Meer. Daher kann es am Abend schon mal kühl werden, vor allem nach den häufigen abendlichen Regen. So wird ein Kaminfeuer von den Gästen sehr geschätzt.
Am nächsten Morgen sind wir wieder früh im Reservat. Das Fahren mit einem Heissluftballon ist sehr beliebt unter Touristen.
Wanje hört am Funk, dass eine Löwenfamilie gesichtet wurde. Wir sind schnell zur Stelle und können dank unseren starken Teleobjektiven schöne Bilder schiessen. Eine Löwenmutter liebkost ihr Junges, so wie es Hauskatzen tun würden.
Auch der morgendlichen Spielrunde können wir beiwohnen: Fang mich! Im Spiel lernen die Jungen die Fähigkeiten, die später überlebenswichtig sind.
Die spielende Meute kommt näher, genau auf uns zu. Wir sind entzückt.
Inzwischen sind aber auch andere Fahrzeuge angekommen. Gemäss der Parkverwaltung dürfen nur fünf Fahrzeuge auf einmal nahe bei den Tieren sein. Sobald also das fünfte Auto ankommt, gibt der Wärter uns ein Zeichen, dass wir uns von der Löwengruppe entfernen sollen. Wie schade! Aber natürlich verständlich.
In sicherer Distanz beobachtet ein Büffel die Szene.
Auch die Gnus wissen immer, wo die Löwengruppe sich befindet. Sie sind alarmiert.
In der Nacht wurde offenbar ein Gnu gerissen. Die Löwen sind weg, daher macht sich eine Hyäne über das tote Tier her.
Es dauert allerdings nicht lange, da landen schon die ersten Geier auf den Bäumen rundherum und beobachten die Hyäne.
Bald sind genug Geier da, und die ersten wagen eine Landung neben dem Kadaver.
Sie können die Hyäne erfolgreich vertreiben. Auch die Marabus möchten etwas haben, werden aber von den Geiern auf Distanz gehalten.
Etwas weiter weg entdeckt ein Fahrer einen Löwen auf einem Baum. Er hat es offenbar auf die weidenden Büffel abgesehen. Wir warten fast eine Stunde, aber nichts tut sich. Tierfotografie braucht viel Geduld.
Eine Elefantengruppe in der Ferne scheint uns das lohnendere Motiv zu sein. Die Elefanten ziehen jeweils tagsüber von den höher gelegenen Wäldern des Grabenabbruchs herunter in die Ebene, wo sie weiden und trinken.
Ein kleiner Halbstarker sieht uns und übt Drohgebährden, während die Mutter es gelassen nimmt.
Abends hören wir noch von einer Nashorn-Sichtung. Das Spitzmaul-Nashorn ist rar geworden in der Masai Mara. Es gebe noch sieben Tiere hier, meint Wanje. Deshalb ist es scheu und verlässt die schützende Buschvegetation nur morgens und gegen Abend. Wir können gerade noch vor der Parkschliessung ein paar Blicke auf das seltene Tier erhaschen.
Dann müssen wir schleunigst zurück. Ausserdem haben wir heute Abend noch ein Foto-Shooting geplant.
Der Manager wünscht noch ein paar inszenierte Bilder vom neuen Spa mit Blick in die Masai Mara.
Auch die nächsten Tage verlaufen sehr abwechslungsreich und mit weiteren fotografischen Highlights, die ich hier als kleine Diashow präsentieren möchte:
Auch am letzten Tag gehen wir nochmals auf Safari, in der Hoffnung, dass wir auch noch Geparden oder Leoparden fotografieren können.
Die Sonne wird heute nicht von Wolken verdeckt. Perfektes Fotolicht.
Wir sind zwar auf dem Weg zu dem Ort, wo gestern die Geparden waren. Aber man sollte sich als Fotograf nicht zu fest in solche Ziele verbeissen und trotzdem die vielen kleinen Fotogelegenheiten nutzen, die sich einem auf dem Weg bieten, wie hier dieser Schakal.
Auch dieser Vogel mit farbenfrohem Gefieder hat unsere Aufmerksamkeit erregt.
Beeindruckt hat mich dieser Pavian auf einem Erdhügel. Erst als unser Fahrer einen Pavian-Laut von sich gibt, schaut er uns von seinem Ausguck her gelangweilt an.
Was sich diese Giraffen wohl zu erzählen haben?
Die Regenzeit mit der Fülle an Beutetieren ist für viele Raubtiere auch eine gute Zeit für Nachwuchs, wie zum Beispiel die Tüpfelhyäne.
Auch die Thomson-Gazelle hat ein Kitz geboren, mit dem sie sich schnell aus dem Staub macht, als sie uns sieht. Besser vorsichtig sein!
Denn der Gepard ist nicht weit. Die Thomson-Gazelle ist seine Lieblingsbeute.
Zudem muss die Gepardenmutter ihrem Kleinen das Jagen beibringen. Wir können die Tiere leider nur kurz fotografieren, bevor sie im hohen Gras verschwinden, abseits der erlaubten Fahrwege.
Daher widmen wir uns wieder den Elefanten und beobachten sie eine ganze Weile.
Gegen Abend ziehen auch heute wieder Regenwolken auf.
Im Vorbeifahren entdecken wir ein paar Fahrzeuge bei einer Löwenfamilie. Einige Mütter mit ihren Kindern sind offenbar in bester Spiel- und Kuschellaune.
Als der Regen einsetzt, verlassen alle anderen Safari-Autos den Ort. Sie fürchten das Steckenbleiben in der durchnässten, weichen Erde. Wir bitten Wanje, noch etwas zu bleiben. Die Löwen gehen ein Stück weiter.
Zwei Halbstarke setzen sich auf einen Erdhügel und lassen den Regen stoisch über sich ergehen. Ich bin so konzentriert aufs Fotografieren, dass ich erst gar nicht bemerke, dass …
… auf der anderen Seite unseres Autos ein Löwenbaby verzweifelt nach seiner Mama ruft. Es hat offenbar den Blickkontakt zu den Geschwistern und zur Mutter verloren. Geistesgegenwärtig steigt es auf den nächsten Erdhügel. Doch es kann seine Familienmitglieder nicht entdecken, da ihm unser Auto die Sicht versperrt!
Die Mutter hat die Rufe des Babys sehr wohl gehört, bleibt aber gemütlich im Gras liegen ohne zu antworten. Sie lässt ihr Baby weiter rufen. Wir bringen es nicht übers Herz, das Kleine länger rufen zu lassen und beten den Fahrer, ein Stück zurückzufahren, damit das Baby seine Mutter sehen kann. Und prompt rennt das Kleine zu seiner Mutter und wird freudig empfangen.
Jetzt wieder komplett setzt sich die Familie langsam in Bewegung und trottet davon. Ich bin gerührt, am letzten Abend vor unserer Abreise noch ein solches Schauspiel erleben zu dürfen. Kinder müssen ihre Erfahrungen selber machen, wird sich die Mutter gedacht haben, als sie davon absah, gleich zur Hilfe zu eilen. Wunderbar, wie ich im Tierreich Afrikas meine eigenen Erziehungsmethoden bestätigt sehe.
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