Der Kern der Reisefotografie ist die Begegnung mit Menschen. Doch das Fotografieren von Menschen ist das schwierigste und heikelste Gebiet der Reisefotografie überhaupt. Von Ort zu Ort hetzende Pauschalreisende haben oft nicht genug Zeit, um die aggressive Wirkung des Fotografierens abzubauen. Doch wer allein oder zu zweit reist, sollte seine Chance auch nutzen und nicht nur im Vorübergehen fotografieren. Anhand von Bildern aus abgelegenen Dörfern im Hochland von Papua möchte ich meine Vorgehensweise erläutern.
Innere Ausreden überwinden
Will man gute Menschenfotos machen, muss man erst einmal seine inneren Ausreden überwinden. „Wir haben jetzt sowieso keine Zeit.“ „Die Person ist gerade beschäftigt.“ „Ich erhalte ja eh keine Fotoerlaubnis.“ „Die Sonne steht nicht ideal.“ Gibt man sich einen Ruck und geht den ersten Schritt, lohnt es sich oft nicht nur wegen der Fotos, sondern auch wegen des Kontaktes an sich, des interessanten Gesprächs oder gar einer neuen Freundschaft. Weil für gute Menschenfotos meist Humor, Charme, Rücksicht, Aufmerksamkeit, Geduld und Verstehen gefordert sind, trägt das Fotografieren von Menschen wesentlich zur Reifung der eigenen Persönlichkeit bei. Man wird mit der Zeit zum Experten in Körpersprache und Mimik (v.a. bei Sprachbarrieren), eine wertvolle Erfahrung!
Vertrauen schaffen und Respekt zeigen
Die Art und Weise, wie jemand mit einer Kamera einem Menschen gegenübertritt, entscheidet über Erfolg und Misserfolg. Einfühlungsvermögen, Höflichkeit, Fingerspitzengefühl und einige Kenntnisse aus der Verhaltenspsychologie sind hier gefragt. Denn eine Kamera kann Privatsphäre verletzen. Vor allem ungefragtes oder heimliches Fotografieren ist heikel und wird oft als bedrohlich empfunden. Spielen Sie daher mit offenen Karten, schaffen Sie zunächst Vertrauen. Lassen Sie die Kamera erst mal unauffällig im Rucksack. Suchen Sie den persönlichen Kontakt, plaudern Sie, interessieren Sie sich für die Tätigkeit, die Ihr gegenüber gerade beschäftigt. Witzeln Sie mit den Kindern. Haben Sie diese einmal gewonnen, so sind auch die Erwachsenen zugänglich! Und zeigen Sie dem Gegenüber vor allem Respekt. Das heisst auch: Nehmen Sie sich Zeit und versuchen Sie sich in der Landessprache. Ein paar Fotos von zuhause können Eis brechen und lässt ein ganzes Dorf zusammenströmen.
Um Erlaubnis bitten
Fragen Sie dann, ob Sie ein Erinnerungsfoto machen dürfen. Sie können auch anbieten, die Fotos später zu schicken (was Sie dann auch wirklich machen sollten!). Eine freundlich vorgebrachte Bitte wird selten abgeschlagen, und wenn die Einheimischen merken, dass Sie sie nicht überrumpeln, werden sie in aller Regel gerne bereit sein, als Modell zu agieren. Versuchen Sie sich vorzustellen, wie Sie gerne behandelt würden! Es gibt auch sehr viele Menschen, die sich sehr gerne fotografieren lassen, die es sogar geniessen, im Mittelpunkt zu stehen! Wir alle brauchen Beachtung und Anerkennung. Wenn mich da ein Fotograf aus der Menge aussucht, so kann das sehr schmeichelhaft für mich sein. Besonders empfänglich dafür sind Frauen und Mädchen. Wenn ich offen und ehrlich Aussehen, Kleidung oder Schmuck bewundere, dann gelingen oft die besten Porträts. Kennt man die Sprache nicht, ist das Mindeste eine Verständigung mit Gesten. Ein kurzer Blickkontakt, ein Lächeln, und bald wird man merken, ob es einem gestattet ist, ein Bild oder einige Porträts zu machen.
Respektieren Sie Absagen oder Abwehrhaltungen. Sie haben ihre Gründe. Und wenn Sie Fotos machen durften, dann vergessen Sie nicht, sich nachher zu bedanken und zu lächeln!
Gestellte Bilder
Gestellte Bilder wirken häufig auch so. Es ist viel besser, Menschen in ihrer natürlichen Umgebung zu fotografieren. Dabei kommen die richtig guten Aufnahmen erst zustande, wenn man sich ein bisschen kennt. Mit dem schnellen Schuss kommt man selten ans Ziel. Gerade in fremden Kulturen merken die Menschen schnell, ob man es ernst meint mit dem Kontakt. Häufig ist es besser am Anfang einmal weniger auf den Auslöser zu drücken, um eine nächste Chance zu erhalten. Je vertrauter man mit den Menschen ist, desto besser gelingen die guten Bilder.
Fotos gegen Geld?
Ein Modellkauf ist fotografisch fragwürdig, da man sich dafür meist nur Posen einhandelt. Geld kann auch nicht anstelle mitmenschlicher Beziehungen gesetzt werden. Es ist kein Freibrief, um eine Situation auszunützen. Ich persönlich verzichte dann lieber. Denn ich will die Passivität, Abhängigkeit und Bettelei, wie sie leider in manchen Touristenzentren entstanden sind, nicht noch weiter fördern.
Stattdessen setze ich wie oben beschrieben auf Vertrauen und Respekt. Selbstverständlich biete ich meinen Gastgebern am Schluss eine Entschädigung für Essen und Übernachtung an, insbesondere wenn diese offensichtlich in armen Verhältnissen leben. Auch ein Gastgeschenk wird sicher gerne angenommen, wobei man sich danach darauf gefasst machen muss, beim Abschied reichlich Proviant auf den Weg mitzubekommen (hier waren es Süsskartoffeln und Zuckerrohr).
Je länger man bei Leuten bleibt, desto stärker wird das gegenseitige Vertrauen. Deshalb lohnt es sich für die Menschenfotografie einmal ein paar Tage in einem Dorf zu bleiben statt jeden Tag wieder ein neues Dorf zu besuchen. Die Leute gewöhnen sich mit der Zeit an die Besucher und die Kamera. Schliesslich gelingen so auch authentische Aufnahmen vom Alltag der besuchten Leute. Vergessen Sie am Schluss nicht, mindestens eine erfolgsversprechende Adresse aufzuschreiben, um die gemachten Fotos zu schicken. Dies ist meist diejenige des Pfarrers, Dorfchefs oder eines Lehrers. Bei Ihrem nächsten Besuch Jahre später werden Sie nur offene Türen vorfinden und überrascht sein, wo Ihre Bilder überall aufhängen.
Mehr zur Menschenfotografie in meinen folgenden Fotokursen. Viel Erfolg!
Reisefotografie 1 – Grundlagen und mehr
Blitzfotografie – für Reportage und Porträt
Lieber Dominique
Herzlichen Dank für diesen Blog. Mich beeindruckt sehr, wie du dich den Menschen näherst, bevor du sie fotografierst!
Nicht zuletzt gefallen mir die dabei entstandenen Bilder sehr!
Danke Markus. Es freut mich, dass dir der Beitrag gefällt.