Abenteuer Kapahuari
Mit Achuar-Indios unterwegs im ecuadorianischen Amazonas
Mindestens drei Wochen lang wieder einmal so richtig in den tropischen Regenwald eintauchen. Abgelegene, unberührte Dschungelgebiete erkunden und intensiv erleben. Von und mit erfahrenen Indigenen Survival-Techniken lernen und selber versuchen, nur mit dem Nötigsten im Dschungel zu überleben. Dieses Vorhaben auf Foto und Film so gut wie möglich dokumentieren. Deshalb möglichst in abwechslungsreichem Gelände mit Hügeln, Wasserfällen, Sümpfen und Flüssen … dazu mächtige Urwaldriesen und die Chance, auch Tiere zu sehen. Unsere Wunschliste ist lang. Doch Johny nickt nur bejahend als wäre all dies selbstverständlich möglich. Johny Vargas ist Achuar-Indio und stammt aus einer kleinen Siedlung am Pastaza-Fluss im ecuadorianischen Amazonas-Regenwald.
Als professioneller Dschungel-Guide spricht Johny gut spanisch. Er arbeitet zwar vor allem in Dörfern und Wäldern der Region Puyo, aber klar würde er uns in sein abgelegenes Dorf mitnehmen. «El Covid?» wiederholt Johnny meine Frage im Whatsapp-Videocall und bricht in schallendes Gelächter aus. «Nein, da haben wir Achuar-Indios keine Angst. Wir haben natürliche Heilmittel aus dem Wald, welche gut wirken». Ausserdem seien er und viele hier in Ecuador bereits doppelt geimpft. Ich bin erleichtert, dass auch bei diesem letzten Knackpunkt die Zeichen auf grün stehen. Denn keinesfalls möchte ich verantworten müssen, unwissentlich das Corona-Virus in Indianergemeinschaften einzuschleppen.
Die Corona-Pandemie ist denn auch der Grund, warum mich Thomas Bolliger vor zwei Monaten angerufen hat. Ich kenne Thomas von ausgedehnten Dschungeltrekkings im indonesischen Teil von Borneo. Wir teilen beide die Leidenschaft für ursprüngliche Regenwälder und fürs Fotografieren. Wegen der Corona-Pandemie war es ihm aber nun verwehrt, wie jedes Jahr zu seinen indonesischen Verwandten zu reisen und dabei auch auf Dschungeltour zu gehen. Die Grenzen waren dicht. Was nun aber mit den Ferien und der angehäuften Überzeit, die Ende Jahr verfallen würde? So fragte mich Thomas, ob ich im November 2021 vier Wochen Zeit für einen Dschungeltrip hätte. Es passte und ich musste nicht lange überlegen. Thomas ist ein eigentlicher Dschungelexperte mit reichlich Erfahrung. Ein gemeinsames Trekking mit ihm versprach viel Abenteuer und eindrückliche Wildnis-Erlebnisse.
Südamerika soll es sein, soviel war klar. Erstens waren Reisen dorthin auch in der Pandemie möglich und zweitens wunderte sich Thomas schon lange, wie sich die Wälder des Amazonas von jenen Indonesiens unterscheiden. Drittens spreche ich Spanisch und kenne Land und Leute von mehrmonatigen Aufenthalten und Reisen im Gebiet. Nach einigen Recherchen und Mail-Konversationen liessen wir Venezuela, Brasilien, Guayana, Peru und Kolumbien fallen und schauten uns die aktuellen Satellitenkarten vom ecuadorianischen Amazonas genauer an. Ich hatte Ecuador zunächst ausgeschlossen, da ich das Land bereits recht gut kannte. Aber unter zunehmendem Zeitdruck überlegte ich es mir anders und war froh, hier auf alte Bekanntschaften zählen zu können. Eine Whatsapp-Mitteilung zu meinem Freund Cosme in Quito reichte. Noch am selben Tag überfiel mich sein Cousin und Dschungelführer Agusto mit einem Whatsapp-Call in Spanisch. Alles sei möglich und schliesslich vermittelte er uns unseren Achuar-Guide Johny. So stand bald fest, dass wir die ausgedehnten Wälder am Fluss Pastaza erkunden werden.
Der Pastaza lässt die Anden in der Gegend von Puyo hinter sich (rechts im Bild) und fliesst in zunehmend weitläufigen Mäandern aus dem hügeligen Vorland in Richtung Südosten zum Amazonas (links im Bild). Zu einem grossen Teil fliesst der Fluss in seinem Lauf bis zur peruanischen Grenze und darüber hinaus durch Stammesgebiet der Achuar. Diese indigene Gruppe umfasst heute rund 6’000 Menschen. Sie gehörten früher zum Stamm der Shuar, mit denen sie kulturell und sprachlich immer noch eng verwandt sind. «Shuar» heisst in deren Sprache nichts anderes als «Menschen». Und diejenigen Menschen, welche in den Ausläufern der Anden bei den Morete-Sumpf-Palmen (achu) leben, werden achu-shuar oder Achuar genannt.
Die Shuar und Achuar waren früher gefürchtete Krieger und betrieben Kopfjagd. Danach stellten sie Schrumpfköpfe her, um in den Besitz der Seele von Feinden zu kommen in der Überzeugung so ihre eigenen Frauen und Töchter besser kontrollieren zu können. Da Frauen Maniokwurzeln anbauen und so den Hauptteil der Nahrungsenergie liefern, ist deren Arbeit nämlich enorm wichtig für das Überleben. Der furchteinflössenden Kopfjagd sowie der Abgelegenheit der Stammesgebiete ist es zu verdanken, dass die Achuar von den erobernden Spaniern in Ruhe gelassen wurden. So konnten die Achuar vorerst ihre Kultur und ihren Lebensraum bewahren. Ab 1960 streckte allerdings der moderne Staat Ecuador seine Tentakeln immer tiefer in den Regenwald aus. Neben Holzgewinnung, Gummibaum-Plantagen und Viehzucht sollte vor allem die Erdölförderung Devisen bringen. Vom Kontakt mit benachbarten Indio-Stämmen aus dem Norden lernten die Achuar, dass Ölfirmen Flüsse und Wälder vergiften, sowie alles was darin und davon lebt. Deshalb organisierten sich die Shuar und Achuar untereinander und machten gegenüber Staat und Erdölgesellschaften ihre Rechte geltend. Mit Erfolg. Das erdölreiche Territorium der Shuar und Achuar bleibt von der Ausbeutung verschont und den Indigenen als Jagdschutzgebiet erhalten.
Die Siedlung Ikiam liegt an einem Nebenarm des Pastaza-Flusses. Dahinter erstreckt sich unberührter Regenwald soweit das Auge reicht. Ikiam bedeutet in der Sprache der Achuar denn auch Wald. Das Dorf ist also relativ jung. Daher und wegen der über der neuen Landstrasse nach Copataza nun deutlich besseren Verfügbarkeit von Wellblech sind traditionell mit Palmblättern gedeckte Häuser in der Minderheit.
Die Siedlung Ikiam wurde von Johnys Vater Isaac gegründet. Er wanderte vor gut sechs Jahren wegen Platzmangel von der benachbarten Siedlung Santiak aus. Der Dorfrat von Santiak teilte ihm und seinen Nachkommen dieses Land zur Selbstversorgung mit Maniok und Bananen zu. Heute leben acht Familien in dieser Gemeinschaft, also gegen fünfzig Personen. Beim ersten Kontakt mit Europäern im 16. Jahrhundert lebten die Achuar noch halbnomadisch in getrennten Haushalten verteilt im Wald ohne jegliche Organisation untereinander. Ein Haushalt bestand aus dem Ehemann, seinen üblicherweise zwei Frauen, unverheirateten Söhnen und Töchtern. Sobald die Söhne heirateten verliessen sie den Haushalt wo sie geboren wurden, dafür zogen die Ehemänner der verheirateten Töchter ein, also die Schwiegersöhne. Kolonialisierung und Missionierung im 20. Jahrhundert hatten zur Folge, dass sich die Shuar untereinander in Siedlungen organisierten. So waren die Shuar einerseits einfacher zu missionieren, andererseits konnten aber auch die Landansprüche gegenüber nicht-indigenen Siedlern besser verteidigt werden. Durch die Missionare lernten die Achuar nicht nur die spanische Sprache und sondern sie wurden natürlich auch in die christliche Religion und Kultur, deren Wertvorstellungen und Bräuche sowie das moderne Wirtschaftssystem eingeführt. Trotzdem existiert die traditionelle animistische Glaubenswelt weiter, wie wir bald noch feststellen werden.
Von der Stadt Puyo am Fusse der Anden kommen wir nach vier Stunden im Allrad-Taxi und 20 Minuten im Motorkanu endlich im Dorf Ikiam an. Kochbananen liegen bereit zum Abtransport für Familienangehörige ausserhalb des Dorfes. Zusammen mit Maniok, Yams und Süsskartoffeln bilden sie die Nahrungsgrundlage der Achuar.
Die Häuser sind traditionellerweise oval. Hohe Dächer aus Palmblättern und meist nur halbhohen Wänden fördern die Durchlüftung an heissen Tagen und bei Rauch durch das Feuer beim Kochen. Solarpanele und eine Satellitenschüssel nehmen uns gleich am Anfang die Illusion, dass die moderne Welt hier noch nicht Einzug gehalten hat. Wie wir später erfahren gibt es hier im Hause des Dorfchefs eine Stunde Highspeed-Internet via Satellit für nur einen Dollar!
Aufmerksame Augenpaare beobachten unsere Ankunft. Wegen der langen Anreise und der fehlenden Flugpiste kann Johny nur sehr selten Touristen in sein Dorf bringen.
Dorfchef José Vargas – Johnys jüngerer Bruder – heisst uns im Gemeinschaftshaus herzlich willkommen während Frauen Chicha servieren, das Leibgetränk vieler indigener Volksgruppen im Amazonas. Chicha wird von Frauen aus Maniok hergestellt, indem die gekochten Wurzelknollen verstampft und mit Wasser und Speichel vermengt zum Gären gebracht werden.
Auch wir werden uns an dieses «Maniok-Bier» gewöhnen müssen und lassen uns unter solch intensiver Beobachtung natürlich nicht anmerken, dass uns dieses Getränk überhaupt nicht schmeckt. Chicha gilt als das Sozialisierungsgetränk schlechthin, das bei jeder Gelegenheit serviert wird.
Schliesslich interessiert es die Dorfgemeinschaft natürlich, warum wir hierher gekommen sind und was wir vor haben. Nach kurzen Ansprachen von unseren Begleitern Agusto und Johny richten sich die Blicke auf mich. Offenbar wissen unsere Gastgeber, dass ich Spanisch spreche. So ergreife ich das Wort und erkläre, dass wir zwei Regenwald-Enthusiasten sind, die sowohl am Wald mit seinen Pflanzen und Tieren interessiert sind, als auch an den Achuar selber. Wir würden gerne von ihnen lernen, wie man im Wald leben und auch überleben kann. Ihre Lebensweise sei für uns faszinierend und ich hätte viel Respekt vor dem jahrtausendealten Wissensschatz der Achuar. Es sei für uns ein Traum, der heute hier in Erfüllung gehe und wir würden uns auf drei lehrreiche Wochen im Achuar-Land freuen. Die Anwesenden klatschen anerkennend und meinem Gegenüber José lese ich aus den Augen, dass er sich geehrt und stolz fühlt.
Dann nehmen uns die Dorfbewohner symbolisch in ihre Gemeinschaft auf, indem sie uns mit Achuar-Namen taufen und die Gesichter mit einer pflanzlichen Farbe gemustert anmalen.
Thomas (links) taufen sie «Ira», wie Johnys Grossvater, welcher ein guter Krieger und weiser Anführer in schwierigen Zeiten war. Agusto (Mitte), der uns den Kontakt zu Johny vermittelt hat und morgen wieder abreisen muss, bekommt den Namen «Natem». Benannt nach dem Achuar-Namen für die Trancepflanze Ayahuasca steht dieser Name für einen visionären und tapferen Menschen. Mich (rechts) nennen die Dorfbewohner ab sofort «Ikiam», wie das Dorf selber. Das Wort bedeutet nicht nur Wald, sondern steht auch für die Attraktivität und die Schönheiten des Waldes samt seiner Pflanzen und Tiere. Offenbar war der Dorfchef inspiriert von meiner Rede. Ich fühle mich geehrt.
Johny nimmt uns beim Wort und wir lernen noch am gleichen Nachmittag die erste Survival-Lektion. Wir wandern in die Sümpfe, wo die Morete-Palme (Mauritia flexuosa) gedeiht. Dies ist also der Baum, der den Achuar ihren Namen gegeben hat wie einleitend erwähnt. Die Palme ist eine Schlüsselart, welche für das Ökosystem sehr wichtig ist. Viele Vogelarten nutzen die Palme zum Nestbau und fressen die Früchte. Aber auch Tapire, Pekaris, Affen und sogar Fische hängen von der Morete-Frucht ab, weshalb oft auch die Würgeschlange Boa constrictor nicht weit ist. Die Achuar schätzen die Palme aber nicht nur wegen ihren Früchten, Blättern und der nützlichen Eigenschaft, jagdbare Tiere anzuziehen. Wenn eine Morete-Palme natürlicherweise in einem Sturm gefallen ist oder absichtlich gefällt wird, legt ein etwa vier Zentimeter langer Käfer (Rhynchophorus palmarum) seine Eier in die Rinde des Stammes.
Rund drei bis vier Wochen später kann geerntet werden. Mittels Axt oder Machete muss erst die harte Rinde entfernt werden um an das weichere Mark der Palme zu gelangen, wo sich nun die voll entwickelten Larven des Käfers tummeln. Die Achuar nennen sie mundish, im übrigen Ecuador wird diese willkommene Protein- und Vitaminquelle auch chontacuro genannt. Diese werden nun fleissig eingesammelt und durch einen Biss am Kopf getötet, damit sie sich nicht mehr davon machen.
Mundish können lebend, gekocht oder grilliert gegessen werden, erklärt mir Johny und streckt mir ein besonders fettes, noch zappelndes Exemplar erwartungsvoll hin. Alle Anwesenden blicken zu mir und Thomas hält seine Kamera abschussbereit. Alles Kopfsache, denke ich und beisse entschlossen in die Larve, sodass sich deren cremigen Inhalt sogleich in meine Mundhöhle ergiesst. Es schmeckt leicht süsslich mit der unverkennbaren Duftnote von vermoderndem Palmenmark. Während der sklerotisierte Kopf ziemlich knusprig ist, kaue ich auf der gummigen Haut noch eine Weile herum, bevor ich sie runterschlucke und unter zufriedenen Blicken meiner Begleiter den nächsten chontacuro selber aus dem Baumstamm zupfe.
Zum Abendessen werden uns mundish auch noch grilliert serviert neben Huhn, Reis und Maniok. Mir schmecken sie so eigentlich am besten. Den Reis haben wir selber mitgebracht, als Geschenk und als Nahrung für unseren Aufenthalt hier, sodass wir nicht auf die lokalen Nahrungsmittelvorräte angewiesen sind.
Was für ein erster Tag hier im Urwald, reflektieren Thomas und ich beim Essen kurz vor dem Eindunkeln. Wir sind gespannt, was uns noch alles erwartet.
José führt mich am nächsten Tag durch den weitläufigen Garten, der sich um sein Haus erstreckt. Hier kultivieren die Frauen nicht nur wichtige Medizinalpflanzen, sondern beispielsweise auch Chilli zum Würzen von Speisen oder Guayusa, aus dessen Blätter man einen koffeinhaltigen Tee kochen kann. Die Pflanze, die er mir nun hier zeigt heisst barbasco oder in Achuar masu. Die Blätter enthalten ein Fischgift.
Tatsächlich, José stellt mir seine beiden Frauen vor. Sie zerstampfen diese Blätter bereits mit Erdreich, damit die giftigen Substanzen offengelegt werden. Die Polygynie oder Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen, häufig die Schwestern der Ehefrau oder die Witwe des Bruders, war bei den Shuar und Achuar eine traditionell akzeptierte Regel. Die Zahl der Ehefrauen war abhängig von den Qualitäten des Mannes. Dieser musste ein mutiger Krieger, Arbeiter und guter Jäger sein und Ehrenhaftigkeit und Ehrlichkeit beweisen. Seine zukünftigen Schwiegereltern beurteilten, ob er diese Qualitäten zeigte, damit sie der Heirat zustimmen konnten. Heutzutage haben nur noch wenige Männer zwei Frauen und es findet ein Wandel zur monogamen Ehe statt. Oder in neuerer Zeit sogar zur exogamen Ehe, also mit Nicht-Achuar-Partnern. Bewundernd schaue ich den beiden Frauen zu, wie sie einträchtig zusammenarbeiten und im Takt ihrer Arbeit nachgehen.
Als wir bei dem zu vergiftenden Bach ankommen, arbeiten die beiden Frauen weiterhin Hand in Hand und dichten den Bach gegen unten hin mit Blättern ab, damit die Fische nicht entweichen können.
Dann wandern wir dem Bach entlang stromaufwärts. Während die Männer den Weg freischlagen, trägt eine Frau den Korb mit dem barbasco-Lehm-Gemisch. Die Kinder werden überall hin mitgenommen.
An geeigneter Stelle schliesslich wird der Korb im Wasser geschwenkt und dadurch das Wasser stromabwärts vergiftet.
Schon nach fünf Minuten Wirkzeit zappeln und zucken die ersten betäubten Fische im untiefen Wasser und können einfach eingesammelt werden.
Alle anwesenden etwa zehn Dorfbewohner suchen nun das gesamte Bachbett ab und reihen die gefundenen Fische an einem Stück dünner Liane auf.
Nach etwa einer Stunde wird die errichtete Blockade aus Blättern wieder entfernt. Der Bach wird nun mindestens drei Monate in Ruhe gelassen, damit er erneut mit Fischen besiedelt wird.
Und weiter gehts im Survival-Kurs. Johny fällt kurzerhand eine Palme und zeigt uns, wie man das Palmherz gewinnt.
Die beiden Frauen von José blicken neugierig, als mir Johny ein Stück Palmherz zum Probieren hinhält. Mmh, diesmal braucht es keine Überwindung. Das Palmherz schmeckt köstlich, sehr zart und leicht süsslich.
Zurück im Dorf wird sogleich das Nachtessen vorbereitet. Die Fische werden zusammen mit etwas Palmherz und einer Prise Salz in Blätter gewickelt und zum Garen ans Feuer gelegt. Diese Zubereitungsart nennt man hier maito.
Die Achuar kennen auch heute noch klare Geschlechterrollen. Die Männer beschützen, jagen, fischen, roden Wald für die Felder und suchen Feuer- und Bauholz. Die Frauen kultivieren das Land, sammeln Essbares wie Pilze oder Früchte, kochen, bereiten Chicha zu, sorgen für Kinder und Haustiere wie beispielsweise Hunde oder Hühner.
Derweil baden wir mit Jungen am Dorfbach und springen den Wasserfall hinunter. Eine herrliche Abkühlung in diesem feucht-heissen Klima. Dabei werden meist Kleider getragen, die so gleichzeitig gewaschen werden. Ausserdem ist Nacktbaden bei den Achuar, selbst nur unter Männern tabu.
Am Abend erklären wir den Anwesenden anhand einer selber gefertigten Satellitenkarte nochmals unser Vorhaben im Detail. Von Ikiam aus wollen wir Richtung Nordost quer durch den Wald bis zum Fluss Kapahuari trekken. Dort planen wir mit leichtem Balsaholz ein Floss zu bauen und uns zum Dorf Kapahuari und weiter nach Pukuam hinunter treiben zu lassen. Von da gäbe es einen gut begangenen Pfad zurück an den Pastaza-Fluss zum Dorf Lumbayme. Wieder am Pastaza-Fluss würden wir mit einem Motorkanu relativ einfach wieder flussaufwärts nach Ikiam zurückkehren können. Oder wir verlängern unseren Flosstrip und queren später zurück zum Pastaza. «Und wenn jemand mitten im Wald von einer Schlange gebissen wird? Habt ihr Serum dabei?», fragt uns Dorfchef José mit ernster Miene. Ich verneinte. Einige hier schienen sich wegen der vielen Unwägbarkeiten Sorgen um uns zu machen.
Am nächsten Tag ist es soweit, unser Dschungeltrekking kann beginnen. Isaac (ganz links) ist mit 55 Jahren der Dorfälteste und kennt sich am besten aus im Wald. Er nimmt sein Karabiner-Gewehr mit, damit wir unterwegs jagen können um so unsere Reisdiät aufzupeppen. Ausserdem ist er der Vater von den weiteren zwei Begleitern. Oger, der zweite von links, ist mit seinen gut zwanzig Jahren einer der jüngsten Söhne von Isaac. Dies ist unser Sicherheits-Mann, den uns der Dorfchef kostenlos mitschickt. Falls etwas passiere im Wald, könne er Hilfe holen. Johny ganz rechts schliesslich ist unser eigentlicher Hauptguide und somit die erste Anlaufstelle für unsere Anliegen.
Einen 12 Kilogramm schweren Reissack in der Hand zu tragen ist keine Option im Dschungel. Oger braucht einen grösseren Rucksack. Im Nu flechtet und knüpft Isaac ein Traggestell aus Materialien des Waldes. Solche Tragehilfen würden sie auch ab und zu nach der Jagd fertigen, um erlegte Tiere heimzutragen.
Am Rio Sawim (sauberer Fluss) machen schlagen wir am Nachmittag das erste Lager auf.
Zum Schlafen spannen wir jeweils unsere Planen auf. Während unsere Begleiter zusammen auf Palmblättern auf dem Boden übernachten, schlafen Thomas und ich unter jeweils eigenen Spanndächern in einer Hängematte.
Wir essen morgens und abends jeweils etwas Reis mit einer Suppe oder Bouillon. Ob wir diesen eintönigen Speiseplan im Wald etwas aufbessern können? Pünktlich um 18 Uhr kündigt das Gezirpe der 6-Uhr-Zikade, wie wir sie nennen, die nahende Dunkelheit an. Höchste Zeit für ein Bad im Fluss und die Vorbereitungen für die Nacht.
Mitten in der Nacht muss Thomas mehrmals aus der Hängematte: Schwerer Brech-Durchfall. Als ihm auch noch schwindlig wird und er kurz sein Bewusstsein verliert und hinfällt, schrillen die Alarmglocken. Unsere Begleiter haben den Sturz zuerst bemerkt. Zum Glück erlangt er sogleich wieder das Bewusstsein und klärt uns über sein Befinden auf. Isaac gibt Thomas darauf hin ein paar Schlucke von seiner Dschungelmedizin, die er in einer kleinen PET-Flasche mitführt. «Eine Art Jägermeister» bemerkt Thomas. Als Thomas wieder liegt reibt Isaac auch etwas davon auf Brust und Bauch ein. Thomas solle den Mund öffnen, sagt mir Isaac damit ich übersetzen kann. Er möchte Thomas von seiner Kraft einhauchen. So beugt er sich über Thomas, presst ruckartig etwa zehn Atemstösse aus sich heraus, die er über Bauch, Brust und Gesicht verteilt. Ob Jägermeister oder eingehauchte Kraft, Thomas stellt eine deutliche Besserung fest und kann wieder einschlafen.
Was hier geschehen ist, wird mir erst später klar. Ich lese nämlich, dass bei den Achuar Speichel und Spucke nicht als schlecht angeschaut werden. Im Gegenteil: Frauen spucken in die Chicha um den Gärprozess zu beschleunigen und bei Männern ist eine nasse Aussprache während einer angeregten Diskussion sozial akzeptiert. Der Schleim der Lunge hat ausserdem eine andere wichtige Bedeutung in der Glaubenswelt der Achuar.
Viele Achuar glauben beim Ausbruch einer Krankheit, dass jemand einen bösen Schamanen angeheuert hat, um unsichtbare magische Pfeile, sogenannte tsentsak in den Körper eines Feindes zu schiessen. Auch einen natürlichen Tod gebe es nicht. Entweder stirbt man durch einen gewaltsamen Tod beispielsweise im Kampf oder durch einen Unfall, oder man wird durch tsentsak getötet. Jeder unerklärliche, gewaltloseTod und jede unerklärliche Krankheit wird also einem tsentsak zugeschrieben. Diese befinden sich ausschliesslich im Besitz von Schamanen (uwishin) und werden auch von diesen kontrolliert. Tsentsak werden dabei im Schleim von Lunge und Magen aufbewahrt, welcher somit die Materialisierung der Macht eines Schamanen darstellt. Schleim wird deshalb verwendet, um sowohl tsentsak aus dem Körper von Opfern zu entfernen als auch um den Schamanen selber vor tsentsak von anderen zu schützen. Deshalb gehen Kranke jeweils zu einem heilenden Schamanen zur Diagnose und Behandlung.
An einen Weitermarsch ist heute nicht zu denken. Thomas braucht einen Ruhetag, wobei er wegen den Schwindelanfällen den Boden vor der Hängematte bevorzugt.
Ich nutze die Zeit und erkunde die Umgebung. Fasziniert blicke ich an einigen Urwaldriesen empor und studiere die vielen Lianen und Aufsitzerpflanzen, welche mit diesem Baum zusammen leben.
Auf meiner Fototour begegne ich auch diesem eigenartigen Pilz, der aussieht wie ein Ball aus Drahtgeflecht. Solche unerwarteten Entdeckungen im tropischen Regenwald faszinieren mich. Und sie illustrieren die unglaubliche Vielfalt dieses Lebensraums.
Einige Pilze sind auch geniessbar. Die Achuar kennen sie genau und sammeln sie zur Bereicherung der Mahlzeiten sorgfältig ein.
Isaac nimmt mich mit auf die Suche nach speziellen Lianen, die sich zum Flechten eignen. Nachdem er diese sorgfältig geschält und geteilt hat, demonstriert er sogleich seine Flechtkunst ….
… indem er uns beiden eine traditionelle Krone fertigt. Diese würde zu speziellen Anlässen getragen und könne zusätzlich mit Federn geschmückt werden.
Und da sind sie wieder, all diese Insekten, welche sich von unserem salzhaltigen Schweiss und dem Duft nach Essen sehr angezogen fühlen. Seltsamerweise vergesse ich diese jeweils nach jedem meiner Dschungelaufenthalte wieder. Auf meiner zum Trocknen aufgehängten Hose tummeln sich hunderte von Fliegen. Natürlich interessieren sich Fliegen auch für meinen mit Schweissperlen übersäten Kopf und belästigen uns somit auf Schritt und Tritt. Wir werden uns bald daran gewöhnen. Insektenschutzmittel hilft zwar etwas, aber meist nur etwa eine halbe Stunde lang. Weit lästiger sind jedoch die bienenähnlichen bunga. Sie duften zwar fein nach den Blüten, die sie hoch oben in den Bäumen besuchen, können aber stechen (nicht allzu schlimm) und hinterlassen klebrigen Blütenhonig auf Haut und Kleider, wenn man sie erschlägt. Am schlimmsten sind jedoch Wespenvölker, welche im Dickicht leider oft unabsichtlich durch eine Machete aufgescheucht werden. Da gibt es nur einen Taktik: Davonspurten und hoffen, dass man mit nur fünf Wespenstichen an Kopf und Armen davon kommt.
Dagegen sind viele andere Kreaturen, wie dieser grosse nächtliche Besucher harmlos.
Am nächsten Tag geht es Thomas zum Glück wieder besser, sodass wir unseren Weg fortsetzen können. In den Wäldern des Amazonas trägt man üblicherweise Gummistiefel. Dies mit gutem Grund: Wir queren zahlreiche sumpfige Gegenden. Hier gilt es aber aufzupassen, dass man nicht soweit einsinkt, dass sich die Stiefel mit Wasser füllen.
Um die Mittagszeit begutachten unsere Begleiter mit ihrem Kennerauge zwei gefallene Ungurahua-Palmstämme. Ein paar Machetenhiebe später ist der willkommene Mittags-Snack freigelegt.
Thomas fragt sich, ob vielleicht die mundish seine Magenverstimmung verursacht haben. Jedenfalls verzichtet er vorsichtshalber auf den Snack.
Trotz Snack freue ich mich jeweils auf unser ordentliches Abendessen. Isaac hat zwischendurch auch mal als Koch im Kapawi-Resort gearbeitet. Deshalb ist er derjenige, der uns jeweils die Mahlzeiten kocht und serviert.
Flüsse werden wo möglich über gefallene Baumstämme gequert. Dies erfordert etwas Selbstvertrauen. Und weil die moosbewachsenen Stämme oft nass und glitschig sind, empfiehlt es sich, die Sohlen quer zum Stamm aufzusetzen.
Am vierten Tag offenbart uns Isaac, dass die Jägerpfade hier aufhören. Ab hier nun müssen wir uns ohne Weg mit Hilfe eines GPS-Gerätes und der von Thomas angefertigten Karte weiter in Richtung Kapahuari durchschlagen.
Der Kompass hilft uns dabei, eine einmal bestimmte Kompassrichtung im grünen Dickicht auch beizubehalten.
Allerdings stelle ich bald bewundernd fest, dass Isaac, welcher meist vorangeht, eine einmal bestimmte Richtung ohne Probleme halten kann, ohne jemals auf meinen Kompass zu schauen. Diesen natürlichen Kompass eignen sich die Indigenen wohl im Laufe ihres Dschungellebens ganz von selbst an.
Am Ende des Tages sind wir froh, dass wir unser Lager gerade noch vor dem fast täglichen Starkregen aufbauen können. Es ist ständig feucht im Urwald. Sonnenstrahlen begegnen wir nur selten in den wenigen natürlichen Lichtungen. Kleider trocknen deshalb grundsätzlich nicht, wenn man sie aufhängt. Sie trocknen erst am eigenen Körper oder am Feuer.
In der Welt der Achuar hat jede Pflanze und jedes Tier ihre eigene Seele und einen lebendigen, fast menschlichen Geist. Ein Achuar kennt jedes Tier, jede Pflanze und jeden Baum und kann deren medizinischen Nutzen erklären. Ausserdem glaubt er an mehrere Geister, die ihnen die Leitlinien für eine harmonische Beziehung zum Regenwald und seinen Kreaturen geben.
So kann ein Jäger auch nur dann erfolgreich sein, wenn er in Harmonie mit den Wildtieren und deren Schutzgeister, den sogenannten «Wildmüttern» (kuntiniu nukuri) lebt. Diese Beziehung des Jägers sowohl zur Beute als auch ihren «Wildmüttern» ist persönlich und wird ein Leben lang gepflegt. Dabei ist ganz wichtig: Tiere dürfen nur wenn nötig und mit Mass erlegt werden. Und der Jäger muss Respekt vor den Tieren zeigen, die er tötet.
Ein guter Jäger beherrscht auch diverse Tierstimmen und kann beispielsweise Tukane herbei locken. Jeder unserer drei Begleiter beherrscht den Ruf des Tukans.
Recht einfach zu erlegen ist der trompetero. Er hält sich in Gruppen in Bodennähe auf und ist so laut, dass man ihn von weitem hört. Im unberührten Regenwald, den wir gegenwärtig durchstreifen, waren bisher kaum Jäger unterwegs. Deshalb treffen wir auch auf gesunde Tierbestände.
Der huhnartige Vogel ist eine willkommene Bereicherung für unseren dürftigen Speiseplan. Meist kocht Isaac das Fleisch in einer Suppe gar, die dann zu unserem Reis serviert wird.
Einmal finden wir gar eine Sumpfschildköte. Auch diese wäre essbar, allerdings ist die Zubereitung aufwändig und die Kochzeit beträgt mindestens zwei Stunden. Da wir schon Urwaldhuhn gegessen haben, lassen wir die Schildkröte wieder laufen.
Auch verschiedene Affenarten können wir in dieser kaum gestörten Gegend aus geringer Distanz beobachten, wie hier ein brauner Wollaffe (Mono choro, Lagothrix lagotricha). Sie werden normalerweise von Indigenen gejagt. Da wir aber bereits wieder mit einem Urwaldhuhn versorgt sind, lassen wir auch diese Tiere leben. Getreu den Prinzipien der Jäger, ein Tier nur wenn nötig zu erlegen.
Weiter gehts durch Sümpfe und über Bachläufe. Wenn nötig fällen unsere Begleiter kurzerhand einen Baum, der uns dann als Brücke dient.
Dann gehts wieder über rutschige lehmige Tapir-Pfade steil hinauf, sodass wir uns an Wurzeln hochziehen müssen. Dies ist sehr kräftezehrend und schweisstreibend. Am liebsten folgen wir Hügelkreten, da wir dort am einfachsten vorwärts kommen.
Endlich, am achten Tag unseres Trekkings erreichen wir den Rio Kapahuari unser eigentliches Ziel dieses Fussmarsches. Hier wollten wir uns ein Floss bauen und uns damit den Fluss hinunter treiben lassen. Doch wir müssen bald erkennen, dass dieser Plan wegen diverser querliegender Baumstämme im Fluss nicht umsetzbar ist. Wir schalten einen Ruhetag ein.
Isaac erzählt uns, dass flussaufwärts, bei der Mündung des Rio Relampago ein böser Schamane gewohnt habe, der viele Menschen mit seinen unsichtbaren Pfeilen (tsentsak) umgebracht hat. Tsentsak werden von Schamane zu Schamane weitergegeben. Sie sind nur sichtbar unter dem Einfluss von Ayahuasca (Achuar: natem), einer psychoaktiven Substanz, welche aus der gleichnamigen Pflanze gewonnen wird. Durch dieses Trancemittel wird die Welt der Geister sichtbar und böswillige Schamane können tsentsak zu ihren Opfern schiessen, während umgekehrt heilende Schamane entsprechend auch tsentsak von Opfern entfernen können. Ein Schamane muss lernen, die tsentsak zu kontrollieren. Sonst können sie sich als lebende Geister verselbstständigen und Unheil anrichten. Die Konsumation von Tabak durch Rauchen, als Tee oder gar als Saft nährt die tsentsak im Körper des Schamanen und erleichtert deren Kontrolle. Ein Schamane, dem diese Kontrolle gut gelingt, wird ein Heiler. Derjenige aber, der nicht die nötige Kraft zu Kontrolle aufbringen kann, wird zum bösen Hexer. So wie der Hexer Relampago. Sein unheilsamer Ruf wurde im letztlich zum Verhängnis. Er wurde von aufgebrachten Achuar umgebracht.
Wir nutzen den Ruhetag zum Fischen. Als Köder nutzen wir entweder chontacuros oder Eingeweide von erlegten Urwaldhühnern. Nach Würmern im Boden haben wir hier vergeblich gesucht.
Isaac ist als erster erfolgreich und zieht einen prächtigen Piranha-Fisch aus dem trüben Wasser. Wegen der scharfen Piranha-Zähne muss der Haken erst an einem metallenen Zwischenstück befestigt werden, bevor der normale Silch angeknüpft wird. Piranhas jagen vor allem Fische und Krustentiere oder fressen die Abfallprodukte von anderen Raubfischen. Im Schwarm können sie auch grössere Tierkadaver vertilgen, da sie aufgrund ihrer scharfen Zähne Fleischstücke aus der Beute herausreissen können. Allerdings ist die in Abenteuerromanen und -filmen gezeigte Gefährlichkeit für den Menschen masslos übertrieben. In den drei belegten Fällen, in denen Schwärme von Piranhas Menschen gefressen haben, waren diese schon vorher an Ertrinken oder Herzversagen gestorben. Verletzungen bei Badenden kommen zwar vor. Meist ist es aber nur ein einzelner Biss. Entweder durch Fische, die ihre Brut verteidigen oder dann zur Trockenzeit bei hoher Siedlungsdichte und in von Essensresten, Fischabfällen und Blut verunreinigten Gewässerzonen. Trotzdem bleibt ein mulmiges Gefühl, wenn wir uns jeweils abends im trüben Fluss baden.
Wir folgen dem Rio Kapahuari flussabwärts. Isaac geht wieder voran. Erstens hat er durch seine Erfahrung das beste Gefühl für den optimalen Weg im Dickicht und zweitens will er uns damit vor einer Konfrontation mit giftigen Schlangen verschonen. Allerdings sehen wir während unserer gesamten Dschungeltour weder Schlangen noch Raubtiere wie Ozelot oder gar Jaguar. Ich bin aber überzeugt, dass diese uns sehr wohl beobachtet haben, da wir Tatzenspuren entdeckt haben.
In Flussnähe begegnen wir vermehrt mächtigen Brettwurzeln, mit denen sich die Urwaldriesen auf dem wenig tiefgründigen Boden abstützen. Eine Demonstration natürlicher Kraft welche offenbar inspiriert.
Uns gefallen die flussnahen Regenwälder so sehr, dass wir nochmals einen Ruhetag einlegen. Wir haben noch genug Reis und es gibt auch noch einige Survival-Lektionen zu lernen.
Isaac lehrt uns nämlich, mit welchen Materialen des Waldes man auch bei Feuchte und Regen zuverlässig ein Feuer entfachen kann. Auch hier helfen uns wieder die Palmen, welche an den trockenen Blattansätzen oft haarige und leicht entflammbare Fasern bereit halten.
Die Gewinnung von Palmherz kostet viel Zeit und Muskelkraft. Ich frage mich deshalb, ob dies ein geeigneter Survival-Food ist, also ob die gewonnenen Kalorien den Energieaufwand des Fällens und Schälens überhaupt wettmachen können. Aber lecker ist Palmherz auf alle Fälle. Am Feuer grilliert schmeckt es uns am besten.
Eine wichtige Lektion haben wir bisher noch nicht gelernt: Wie macht man sich einen wasserdichten Unterstand nur aus Materialien des Waldes. Zu diesem Zweck können wir die Blätter der eben gefällten Ungurahua-Palme (Oenocarpus bataua) nutzen. Da wo keine Plastik-Plane für ein schnelles Dach zur Verfügung steht, werden solche Lager-Unterstände auch heute noch regelmässig gebaut, beispielsweise auf mehrtägigen Jagd-Streifzügen.
Bewundernd dokumentiere ich, wie behände Isaac und sein Sohn Johny ein solches Dach bauen. Erst werden die Palmblätter in der Mitte halbiert. Die Hälften werden anschliessend mittels Lianen-Schnüren in Abständen von rund zwanzig Zentimetern an drei schräg in den Boden gerammten Holzpflöcken festgebunden. Trotzdem sind wir froh, haben wir Plastik-Planen für unser täglich zu errichtendes Camp dabei. Die damit gesparte Zeit kann wiederum in die Jagd oder das Fischen investiert werden.
Besonders spannend finde ich jeweils die nächtlichen Streifzüge mit der Taschenlampe. Oft entdecken wir dabei Insekten oder Frösche, die sich geduldig fotografieren lassen.
Am zehnten und elften Tag unseres Trekkings ist endlich der Zeitpunkt gekommen, an welchem ich es wagen kann, meine bis hierher mitgetragene Mini-Drohne zu starten. Der Fluss hat hier eine genug breite Schneise durch den Wald geformt und ich finde auf dem Strand einer kleinen Flussinsel den perfekten Start- und Landeplatz, von dem ich ausserdem ich eine gute Sicht auf das Fluggerät habe.
Was ich an diesem frühen Morgen über meinen Handy-Monitor sehe, begeistert mich: Unberührter Regenwald soweit das Auge reicht, egal auf welche Seite ich meine Drohne drehe. Erst jetzt wird mir wieder so richtig vor Augen geführt, dass wir uns mitten in der Wildnis befinden.
Ich stelle mir vor, dass es hier wohl schon vor Jahrtausenden ähnlich ausgesehen haben mag. Wir dürfen vom Menschen praktisch unbeeinflusste Natur erleben. Was für ein Glück!
Eine solche Wildnis-Erfahrung rechtfertigt in meinen Augen auch all die Strapazen und unangenehmen Momente dieser Tour. Auf einmal sind wir Menschen nur winzig kleine Beobachter, die den Naturkräften ausgeliefert sind. Eine heilsames Gefühl der Naturverbundenheit kommt auf. Gerade auch deshalb, so bin ich überzeugt, braucht unsere moderne Welt solche Wildnisgebiete, welche vor dem Einfluss des Menschen verschont bleiben.
Schon am elften Tag jedoch werden werde ich aus diesem Traum herausgerissen, als wir wieder menschlichen Zeichen begegnen. Dies sind die Felder der Gemeinschaft von Kapahuari, der wir uns nähern. Hier wird vor allem Maniok angebaut, dessen Blätter auch als Gemüse geniessbar ist. Noch rund zwei Stunden bis zum Dorf, schätzen wir. Mit etwas Wehmut lassen wir die Wildnis zurück, freuen uns aber auch darüber, dass wir es bis zum Etappenziel geschafft haben.
Wir werden sofort gastfreundlich aufgenommen. Nach einer Runde obligater Chicha wird uns ein reichhaltiges Essen mit Maniok, Kochbananen und Fleisch serviert. Unsere Gastgeber nehmen bewundernd zur Kenntnis, dass wir auf dem Fussweg zu ihnen gewandert sind anstatt wie ein paar Touristen vor uns mit dem Kleinflugzeug auf der Landepiste im Dorf zu landen. Auch hier gibt es Satelliten-Internet, sodass wir bald erste Lebenszeichen per Whatsapp an José, den Dorfchef von Ikiam sowie an unsere Angehörigen zuhause senden können. Ausserdem dürfen wir auch unsere Akkus über die Solarbatterie aufladen.
Es tut gut, nach elf Tagen aus dieser grünen und feuchten Enge des Regenwaldes zu kommen und über weite sonnige Plätze zu gehen. Ich verstehe nun das Bedürfnis der rund 70 Dorfbewohner sehr gut, sich den Wald im Dorf etwas auf Distanz zu halten. Wir dürfen im Gästehaus auf typischen Achuar-Betten übernachten. Die sind zwar sehr hart im Vergleich zu unseren Hängematten, aber einmal muss man das einfach mal probiert haben. Ungeziefer hat es hier verhältnismässig wenig. Wir nutzen die Sonne und die Auslegemöglichkeiten, um alle unseren Sachen zu trocknen. Nach elf Tagen bei 95% Luftfeuchtigkeit fühlt sich alles sehr feucht und schmuddelig an, trotz der wasserdichten Packsäcke. Auch unsere Kameras zeigen Feuchtigkeitsspuren, die ich seit Tagen mit Silicagel wegzutrocknen versuche.
Für mich als Seitenschläfer ist die Nacht auf dem harten Bettrost alles andere als bequem. Um 4 Uhr morgens ertönt laute ecuadorianische Popmusik. Der Aufruf zum Guayusa-Trinken im Gemeindehaus. Ich schäle mich aus dem Moskitonetz und geselle mich zur Runde. Dieses Zusammenkommen vor Sonnenaufgang ist sehr wichtig in der Kultur der Achuar. In der Frische des anbrechenden Tages diskutieren Männer wichtige Angelegenheiten. Dabei wird dermassen viel vom koffeinhaltigen Tee aus den Blättern der Guayusa-Pflanze (Ilex guayusa) getrunken, dass anschliessend der Überschuss wieder absichtlich erbrochen werden kann. Auf diese Weise wird der Magen und somit der Körper gereinigt. Ein Brauch, der sicher auch mit der Vorstellung zu tun hat, dass sich krankmachende tsentsak im Schleim von Magen und Lunge festsetzen können.
Der Dorfchef Clementi erzählt bisweilen auch lustige Anekdoten von früheren Touristenbesuchen. Die Konversation erfolgt in der eigenen Achuar-Sprache, sodass ich die Gesprächsthemen nur erahnen kann. Trotzdem geniesse ich die Stimmung dieses gemütlichen Beisammenseins.
Nach Tagesanbruch reichen die Frauen zusätzlich Chicha zum Trinken, während die Männer weiter reden. Mittlerweile haben sie auch mich auf Spanisch zu Wort kommen lassen und wir diskutieren über die Möglichkeiten, wie wir von hier weiterkommen können. Weder Kapahuari noch das nächste Dorf Pukuam verfügen über ein Motorkanu. Von einem Flossbau raten unsere Gastgeber immer noch ab. Zu viele querliegende Baumstämme unterwegs. Aber sie könnten uns in einem Einbaum in nächste Dorf Pukuam bringen.
Im Gemeinschaftshaus gibt es ganz wenige Ablagen unter dem Dach. Eine ist mit selbst getöpferten Keramikschalen belegt und auf einem anderen Tablar ist ein Haufen von Papier zu sehen. Aber am meisten fällt diese Ansammlung von Fuss- und Volleyball-Pokalen auf. Sie zeugt von der Sportbegeisterung der Achuar, die wiederum erklärt, warum es so viele Plätze rundherum gibt.
Clementi ist ein charismatischer und stolzer Führer. Die Achuar sind heute unter sich recht gut organisiert. Von den Gemeinschaften gewählte Dorfoberhäupter erhalten vom Staat einen Lohn und können so an übergeordneten Vereinigungen teilnehmen. Diese treffen sich regelmässig, um Informationen auszutauschen und Aktionen zur Verteidigung der Rechte ihrer Mitglieder, die beispielsweise unter dem Druck von Ölfirmen stehen zu koordinieren. Durch diese interne Organisation der Achuar-Gemeinden ist das Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Kultur sehr ausgeprägt. So identifizieren sich die Achuar stark mit ihrer Kultur und sind entsprechend stolz. Trotz allen äusseren Einflüssen sind die Sprache und Kultur der Achuar wie auch der Shuar noch relativ intakt und stabil, im Vergleich zu anderen Kulturen der Amazonasregion.
Um die Mittagszeit ist unser Einbaum bereit und wir werden von zwei kräftigen Männern flussabwärts begleitet.
Die Fortbewegung auf dem Fluss ist eine sehr willkommene Abwechslung für uns. Auf diese Weise können wir den Wald und seine Tiere ganz entspannt beobachten.
Allerdings gibt es wie vermutet auch für einen Einbaum einige Hindernisse zu überwinden. So kann die vom Dorf mitgebrachte Axt schon bald eingesetzt werden.
Das Bewegen eines dermassen langen Einbaums mittels der beiden Stak-Hölzer erfordert viel Gefühl, Erfahrung und Kraft. Sicher navigieren wir an weiteren Hindernissen vorbei.
So sicher, dass ich es sogar wage, meine Drohne vom fahrenden Kanu aus zu starten. Dies hat jedoch einen gewichtigen Nachteil. Die Drohne speichert beim Start die GPS-Position des Startpunktes und will bei geringem Akku-Stand dahin zurückkehren, was natürlich zu vermeiden ist. Somit entfällt eine wichtige Rückfallebene.
Und prompt, vor lauter Faszination über den Blick von oben auf die Fluss-Mäander verliere ich die Übersicht. Als die Akku-Anzeige rot aufleuchtet und die Drohne zum Startpunkt zurückkehren will, weiss ich nicht mehr, in welcher Flussschlaufe sich unser Einbaum gerade bewegt!
Jetzt Ruhe bewahren und überlegen, rede ich mir zu! Da! Wir hören die Drohne. Ich orientiere mich an der Sonne und fliege grob in unsere Richtung. Dank der Adleraugen unserer Begleiter ist die Drohne bald darauf im Himmel gesichtet und ich kann sie sicher in meiner Hand landen. Ladestand: 3%. Noch einmal Glück gehabt!
Nach rund drei Kanustunden kommen wir im Dorf Pukuam an. Von hier würde man in zwei Tagen zu Fuss auf guten Pfaden zurück an den Pastaza-Fluss gelangen können, meint Johny. Allerdings sind Thomas und ich uns einig, dass wir gerne weiter den Kapahuari erleben möchten. Es sind noch ungefähr 150 Flusskilometer bis zur Mündung des Kapahuari in den Pastaza-Fluss. Wir spielen mit dem Gedanken, mit einem geliehenen Einbaum weiter flussabwärts zu fahren und uns dann von einem Motorkanu, das uns entgegen kommt, abholen zu lassen. Dieses könnte auch den Einbaum wieder zurückbringen. Nach ersten Whatsapp-Calls mit Motorkanu-Besitzern wird aber schnell klar, dass sich niemand so weit flussaufwärts wagt. Die Leute fürchten sich vor einem bösen Schamanen, der an diesem Fluss haust. Nach der üblichen Runde Chicha und einer Aussprache mit den Dorfältesten wird uns ein Platz zum Schlafen zugewiesen.
Auch diese Gemeinschaft verfügt über ein idyllisch gelegenes Gästehaus, wo wir uns ausbreiten können. Der Dorfchef Walter hat uns ausserdem eine Familie organisiert, welche uns kocht und verpflegt. Natürlich bezahlen wir der Familie bzw. der Gemeinschaft jeweils etwas für das Essen, die Übernachtung sowie für den Aufenthalt auf dem jeweiligen Gemeindegebiet. Wir wollen fair sein und die Einheimischen sollen auch etwas von unserem Besuch profitieren. Auch hier in diesem abgelegenen Dorf benötigt man Bargeld für Kleider, Nahrungsmittel (Salz, Zucker etc), Medikamente oder Schulgebühren. Schliesslich kommt uns die rettende Idee. Wir kaufen uns ein Kanu und verkaufen es wieder an der Flussmündung! Doch so einfach ist es dann doch nicht. Erst spät am Abend finden wir jemanden, der seinen Einbaum entbehren kann und verkaufen will.
Am nächsten Morgen bereiten wir unsere Flussfahrt vor. Zwei Paddel müssen noch zugehauen werden. Wir bezahlen 450 US-Dollar für das Kanu und kaufen einen Sack Maniok und Kochbananen, da unsere Reisvorräte längst aufgebraucht sind.
Dorfchef Walter scheint unser Ansinnen zu gefährlich und er versucht uns mit fadenscheinigen Argumenten davon abzuhalten. Stammeskonflikte, gefährliche Baumstämme, Erdrutsche werden genannt. Und ob wir denn überhaupt Kanu fahren könnten? Johny und Isaac können Walter mit ihrer ruhigen Art soweit beruhigen, dass er uns gewähren lässt, nachdem er uns abermals zu Vorsicht angehalten hat. In einem Punkt hatte Walter allerdings recht: Eigentlich ist der gekaufte Einbaum zu klein für uns. Es war zwar schon abgemacht, dass Isaac und Oger von hier zu Fuss zum Pastaza zurückkehren würden und wir dementsprechend nur noch zu dritt sind, allerdings mit reichlich Gepäck. Doch auch so ist es eine recht wackelige Angelegenheit und das Wasser reicht bis etwa sieben Zentimeter an den Rand des Kanus. Trotzdem signalisieren wir Zuversicht, bevor wir unter Beobachtung von vielen schaulustigen Kindern vom Dorf Pukuam ablegen.
Die ersten Hindernisse lassen nicht lange auf sich warten. Und dann, es musste ja passieren: Wir unterschätzen die Trägheit des vollbeladenen Einbaums und geraten nach einer Stromschnelle in ein Ästegewirr, sodass sich unser Kanu mit Wasser füllt und wir aussteigen müssen. Johny rettet gerade noch den Sack mit unserem Proviant, aber ein Paddel schwimmt davon. Immerhin können wir im Wasser stehen, das Kanu in Sicherheit ziehen und so in Ruhe das Wasser herausschöpfen. Nochmals Glück gehabt. Auch, dass wir das Paddel danach wieder finden. Trotzdem muss uns dies an einer ähnlicher Stelle noch ein zweites Mal passieren, bis wir definitiv beschliessen, ab jetzt viel vorsichtiger und defensiver zu fahren.
Schliesslich rechnen wir für die verbleibenden 150 Flusskilometer noch fünf Tage in abgelegener Wildnis zu verbringen. Ein Materialverlust oder eine Verletzung hier wäre fatal. Flussaufwärts zurück ins Dorf können wir nicht mehr. Uns bleibt nichts anderes übrig, uns weiter flussabwärts zu kämpfen. Abenteuer ist, wenn man nicht weiss, was als nächstes kommt. Gerade diese Unsicherheiten machen es ja spannend und lehren einem, den Naturgewalten demütig und mit Respekt zu begegnen. Wir selbst haben es in der Hand, durch überlegte Entscheidungen und angebrachte Vorsicht Stück um Stück weiterzukommen. Bei diesem Baumstamm müssen wir unser Kanu entladen …
… und den schweren Einbaum anschliessend mit vereinten Kräften über den Baumstamm schieben. Nach den anfänglichen Lehren im Fluss bleiben uns zum Glück weitere kritische Momente erspart und wir haben soweit alles im Griff.
Das Lagerleben ist zu dritt aufwändiger als vorher. Thomas und ich müssen nun mehr anpacken und beispielsweise Feuerholz suchen und kochen helfen.
Auch am zweiten Kanutag überwinden wir nochmals etwa ein dutzend schwierige Hindernisse im Fluss.
Manchmal schieben wir das leere Kanu auch unter dem Baumstamm hindurch.
Der Fluss wird zwar immer breiter. Trotzdem müssen wir konzentriert bleiben, um weitere Holzhindernisse zu umfahren. Erst am späteren Nachmittag vom zweiten Kanutag können wir etwas aufatmen, als von links der einfliessende Rio Ispingo den Kapahuari auf einmal deutlich verbreitert.
Erleichtert, dass wir den Ispingo schon erreicht haben, machen wir ein frühes Camp heute. Thomas will nämlich noch einmal Palmherz gewinnen, diesmal ganz alleine.
Derweil zieht Johny einen grossen Wels (Vagre) aus dem Fluss …
… und sorgt für ein wahrhaftiges Fisch-Fest heute. Es sei offensichtlich, dass hier niemand sonst fische. Diese Flussabschnitte seien wegen der vielen natürlichen Hindernisse sehr selten besucht, folgert Johny, obwohl er selbst auch das erste Mal in seinem Leben den Kapahuari hinunterfährt.
Wir garen die Fische als Suppe und am Grillstecken. Der Piranha schmeckt vom Grill besonders gut!
Der Fluss ist jetzt zwar breiter. Gleichzeitig fliesst er aber auch langsamer, sodass wir mehr paddeln müssen. Allerdings sind die selber geschnitzten Holzpaddel dermassen schwer, dass wir sie zwischendurch immer wieder ablegen müssen. Ausserdem sind wir uns die pralle Sonne auf dem breiten Fluss nicht gewohnt und müssen uns mit Kopfbedeckungen vor einem Sonnenbrand schützen.
Eine Kiesbank lädt zu einer Fischerpause ein. Je weiter wir dem Kapahuari folgen, desto weniger Steine und Kies werden wir begegnen. Stattdessen müssen wir uns mit lehmig-sumpfigen Ufern abfinden.
Die messerscharfen Zähne können auch an Land noch Schaden anrichten. Erst wenn der Piranha erschlagen ist und sich so an Land nicht mehr bewegt, kann er gefahrlos in die Hand genommen werden.
Wir erleben unglaublich schöne Stimmungen am Kapahuari. Die Geräuschkulisse ist vielfältig und wird tagsüber von verschiedenen Vögeln geprägt. Einmal sind es Papageien, dann wieder Singvögel oder …
… das Gluckern des Hoatzin (Opisthocomus hoazin). Dieser hübsche huhngrosse Vogel ist häufig in Flussnähe zu finden. Er ist recht scheu und flattert weg, sobald wir uns mit dem Kanu nähern. Dabei müsste er sich nicht fürchten. Auch Jäger lassen ihn in Ruhe. Sein Fleisch rieche übel und wird daher nicht gegessen.
Ebenso scheu sind die Silberreiher (Ardea alba). Sie flüchten meist flussabwärts und starten jedes Mal erneut, wenn wir uns wieder nähern.
Ein paar Male erblicken wir auch Fischotter, zu Wasser oder am Ufer. Südamerikanische Fischotter (Lontra longicaudis) sind vorwiegend tagaktiv, sofern sie nicht von Menschen gestört werden. Solange sie aktiv sind, findet man diese hervorragenden Schwimmer und Taucher selten ausserhalb des Wassers. An diesem Tier fahren wir etwa in fünf Metern Distanz vorbei, ohne dass es die Flucht ergreift.
Je weiter wir dem Flusslauf folgen, desto mehr scheint er zu mäandrieren. Wir legen daher unzählige Extra-Kilometer zurück.
Am fünften Tag des Kanu-Abenteuers müssen wir nochmals kräftig paddeln, da der Kapahuari hier noch gemächlicher fliesst. Wir sichten rosarote Flussdelfine. Der Pastaza-Fluss ist wohl nicht mehr weit.
Auf einer Sandbank legen wir eine Pause ein. Ich lasse die Drohne steigen, um etwas Übersicht zu gewinnen.
Tatsächlich, im Hintergrund können wir bereits den Pastaza-Fluss ausmachen. Wir haben unser Ziel bald erreicht! Die Topografie ist hier merklich flacher, weshalb sich auch vermehrt isolierte Totarme und Lagunen mit baumloser Sumpfvegetation drumherum gebildet haben. Links im Mittelgrund können wir an einer solchen Lagune auch die Kapawi-Lodge erkennen. Und links im Hintergrund sehen wir ein paar Häuser der Comunidad Kapawi, unserem Ziel.
Wir haben es bald geschafft, 150 Flusskilometer mit diesem Einbaum in fünf Tagen. Wir sind erleichtert, dass unser Ziel in Reichweite ist und wir dieses Abenteuer ohne schlimmere Zwischenfälle gemeistert haben.
Auch Johny freut sich über seine Erstbefahrung des Kapahuari. Als Guide hat er natürlich einen grossen Teil der Verantwortung getragen. Die letzten zwei Flusskilometer paddelt er deshalb sichtlich erleichtert und scheint sogar seine Rückenschmerzen kurzzeitig vergessen zu haben.
Auch ein starker Regenguss kann unsere Freude nicht mehr trüben. Wir sind die periodischen Duschen gewohnt. Thomas zieht nochmals kräftig am Paddel …
… bis wir wenig später den Pastaza-Fluss bei trockenem Wetter erreichen. Der Pastaza ist hier bei Kapawi, nahe an der Grenze zu Peru, schon sehr weitläufig.
Schliesslich haben wir also eine wesentlich längere Route zurückgelegt, als wir ursprünglich geplant haben.
Unser Freund José, der Dorfchef von Ikiam, blickt zufrieden und erleichtert, als wir uns begegnen. Von Pukuam aus hatten wir mit ihm am heutigen Tag in Kapawi abgemacht. Er wird uns morgen mit seinem Motorkanu zurück nach Ikiam fahren.
Es ist Sonntag in Kapawi. Das halbe Dorf hat sich um die Sportplätze an der Landepiste versammelt. Laute Musik ertönt. Die einen trinken Chicha im Gemeindehaus, die anderen spielen mit dem Fussball oder beteiligen sich an einem Volleyball-Tournier. Unser Erscheinen weckt wenig Aufmerksamkeit, offenbar ist man sich hier Touristen gewohnt. Erst als wir von unserem Abenteuer erzählen, ernten wir anerkennende Blicke. Schlafplatz und Essen sind schnell organisiert. Mit dem Verkauf unseres Kanus haben wir allerdings ziemlich Mühe. Wenn jemand hier ein Kanu braucht, baut er sich nämlich sein eigenes. Kaum jemand hier kann nur annähernd so viel hinblättern, wie wir ursprünglich bezahlt haben. Das beste Angebot das wir bekommen sind 100 US-Dollar. Immerhin können wir Essen und Übernachtung noch in den Deal packen, sodass wir im Endeffekt 300 US-Dollar abschreiben müssen. Für fünf Tage Abenteuer Kapahuari schon fast ein Schnäppchen!
Am nächsten Morgen fahren wir bereits bei Tagesanbruch los. Wir freuen uns nochmals über die fantastischen Stimmungen über dem Fluss.
Acht Stunden dauert unsere Rückfahrt stromaufwärts, ein paar wenige Pausen inklusive. Unsere Begleiter verkürzen sich die Reisezeit mit Schlafen. Von Sonnenschein bis zu strömendem Regen erleben wir alles bis wir endlich in Ikiam ankommen.
Die Einwohner von Ikiam freuen sich, dass sie uns wohlauf wiedersehen. Auch Isaac und Oger sind vor ein paar Tagen heil angekommen. José organisiert uns am Tag später ein üppiges Abschiedsessen, an welchem wir dem ganzen Dorf von unseren Erfahrungen berichten. Insbesondere will José wissen, ob man diese Tour auch anderen empfehlen kann. Sofern man viel Zeit und Abenteuerbereitschaft mitbringt, warum nicht, antworte ich.
Thomas und ich jedenfalls schätzen es sehr, dass wir diese aussergewöhnlichen Erfahrungen machen durften. Der Dank gilt vor allem auch unseren drei Begleitern, welche sich auf unsere Ideen eingelassen haben und uns ihren Wald und ihre Überlebenstricks geduldig gezeigt haben. Wir haben hautnah erfahren können, dass die Kultur und das Wissen der Achuar noch lebendig sind und sie zu Recht stolz darauf sein können.
Wir hoffen, dass die Achuar ihre Wälder und ihre Lebensweise noch lange bewahren können und dass so auch die Kinder einmal stolz sein werden, Achuar zu sein.
Thomas und ich sind als Regenwald-Enthusiasten voll auf unsere Rechnung gekommen Die Strapazen sind schon bald wieder vergessen. Zurück bleiben tolle Erinnerungen an einen vielfältigen Wald und eine tolle Geschichte.
Hallo Dominik
Ein sehr spannender und eindrücklicher Bericht, vielen Dank dafür.
Sali Chrigel … sehr gerne geschehen! Hebs guet! Dominique
Hallo Dominik
Vielen Dank für die schönen Bilder. Immer wieder schön, das Amazonasgebiet.
Das erweckt in mir das Fernweh. Ich war vor 6 Jahren das letzte Mal in Ecuador.
Lieber Gruss
Hallo Brigitte. Schön von dir zu lesen. Es freut mich, wenn ich dich kurz nach Ecuador entführen konnte. E gueti Zyt! Dominique
Es ist sehr eindrücklich, was du damals erlebt hast…..viel Gefahren überstanden…..
Hallo Dodo und Thomas,
Eine spannende und beneidenswerte Reise in die unendlich scheinende Welt des Amazonas. Wie immer, tolle Fotos und eine interessante Berichterstattung mit vielen persönlichen Eindrücken.
Vielen Dank fürs teilen!
Danke Trudi. Das freut mich!
Super interessant, ich hatte riesigen Spass deinen Reisebericht reinzuziehen. Danke Dominique
Hallo Ikiam
Auch für einen erfahrenen Bündnerjäger ein sehr eindrücklicher Treck in einer unberührten und sensationellen Natur. Kompliment für deinen tiefen Einblick in die Lebensweise und die Bräuche der Achuar im Amazonas.
Herzlichen Dank Pa
Hallo Pa. Danke! Ja, die Achuar sind sehr gute und besonnene Jäger, welche tiefen Respekt vor den Wildtieren haben. Grüessli, Dominique
Lieber Dodo
Dein Reisebericht hat sich gelesen wie ein spannender Thriller.
Dass du tolle Bilder schiessen kannst wissen wir alle mittlerweile aber dass du auch so spannend schreiben kannst, einfach toll. Der ganze Aufwand hat sich sehr gelohnt, bravo!
Was für interessante, unvergessliche Momente ihr da erlebt habt.
Danke für diese Reise in eine unberührte Natur und einen Einblick in die Lebensweise und Bräuche der Achuar.
Wir sind alle froh dass du wieder gesund nach Hause gekommen bist.
Herzlichst Dina
Liebe Dina. Danke. Dein Kompliment freut mich sehr. Auch ich bin natürlich immer wieder dankbar, wenn ich wohlauf von einem solchen Abenteuer zurückkehre 🙂
Hallo Dominique
Sehr spannender, interessanter und eindrücklicher Reisebericht mit – wie immer – tollen und faszinierenden Bildern.
Grosses Kompliment und vielen Dank!
Liebi Grüess, Andy
Hallo Andy, wie schön von dir zu lesen. Danke für deine erfreuliche Rückmeldung! Dominique
Wow… Du Spinner! 😉
Herzlichen Dank für diese Einblicke!
Tolle Bilder und packende Texte.
Liebes Schwösterhärz! Du kennst ja dein Bruderherz langsam :-)). Danke!
Hey Dominique
Vielen Dank für deinen spannenden Reisebericht. Zum einen die wunderschönen Bilder und zum anderen deine eindrücklich geschilderten Reiseerlebnisse zum Miterleben.
Die Dschungeldurchquerung und das Flussfahrtabenteuer lässt einem selbst beim Lesen tief durchatmen. Absolut nachvollziehbar, klar vom bequemen Bürostuhl aus ohne Risiko und Leiden. Du antwortest mit Recht, ohne an die Grenzen der Belastbarkeit zu gehen – kein Abenteuer. Ähnliche Erlebnisse, natürlich auf viel tieferem Level, steigert meine Hochachtung vor solchen Leistungen.
Herzliche Grüsse vom Sigi.
25.02.2022
Danke Sigi. Es freut mich, dass ich dich auf die Reise mitnehmen konnte. Auf deine Anregung hin habe ich „Abenteuer“ in Wikipedia nachgeschlagen (siehe unten) um mich zu versichern. Der Titel dieses Blogs ist treffend gewählt, auch wenn mir bewusst ist, dass „Abenteuer“ auch in anderen Zusammenhängen verwendet wird, um etwas mehr Effekt zu erhaschen. Grüessli und e gueti Zyt! Dominique
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Als Abenteuer (lateinisch advenire ‚Ankommen‘ und adventus ‚Ankunft‘; mittelhochdeutsch: Âventiure) wird eine risikohaltige Unternehmung wie eine gefahrenträchtige Reise oder die Erforschung eines unbekannten Gebiets bezeichnet, die aus dem geschützten Alltagsbereich entfernen. Der Abenteurer verlässt sein gewohntes Umfeld und sein soziales Netzwerk, um etwas Wagnishaltiges zu unternehmen, das interessant oder auch gefährlich zu sein verspricht und bei dem der Ausgang ungewiss ist.
Lieber Dominique
Danke für deine eindrückliche und spannende Fotoreportage!
Das wird dir ein Leben lang in Erinnerung bleiben.
Liebe Grüsse Marlise